Europa oder die USA – wer hat recht?
Christian Helmenstein: Für Europa ist Sparen der richtige Weg. Die Turbulenzen auf den Finanzmärkten sind Ausdruck mangelnden Vertrauens gegenüber der Budgetpolitik einzelner Staaten. Das Vertrauen kann man nur durch ambitionierte wirtschaftspolitische Reformen wiederherstellen.
An welche Reformen denken Sie?
Helmenstein: Wir brauchen Regeln, die sicherstellen, dass der Stabilitäts- und Wachstumspakt greift. Die Kontrollkompetenzen der Kommission müssen ausgeweitet werden und Eurostat muss einen direkten Zugriff auf die nationalen Statistiken erhalten. Wir sollten außerdem darüber nachdenken, auf allen Ebenen das Instrument einer Schuldenbremse einzuführen.
Wie könnte eine solche Schuldenbremse funktionieren?
Helmenstein: Ein gutes Beispiel ist Schweden, wo laut Verfassung in guten Zeiten Budgetüberschüsse erzielt werden müssen.
Was würde uns mehr schaden: eine Inflation oder eine Deflation?
Helmenstein:Problematisch wäre beides, auf kurze Sicht wahrscheinlicher ist aber die Deflation. Sie motiviert Konsumenten, Ausgaben aufzuschieben, weil ihre Kaufkraft mit der Zeit zunimmt. Dieses Risiko sollte so gering wie möglich gehalten werden.
Warum können es sich die USA leisten, mit dem Sparen zu warten?
Helmenstein: Die USA können sich das genauso wenig leisten wie Europa. Aber sie sind der größte Währungsraum und verfügen mit dem Dollar über die wichtigste Reservewährung der Welt. Ihr Binnenmarkt ist besser entwickelt und ihr Arbeitsmarkt weniger reguliert als der europäische. Man traut den USA eher zu, rasch aus der Krise zu finden und ihre Schulden zu begleichen.
Haben Sie Verständnis für die US-Position?
Helmenstein: Nein. Die Handelsverflechtungen der USA mit Europa sind viel zu gering, als dass sich ein staatlich befeuertes Wachstum inEuropa signifikant auf die US-Wirtschaft auswirken würde. Eine stabile Entwicklung in Europa und ein in Folge stärkerer Euro würde den USA nützen. Und dazubedarf es eines ernsthaften Sparwillens aufseiten des Staates – weil so auch die Privaten zu mehr Ausgaben motiviert würden.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2010)