Tschechien/Deutschland

Zug um Zug zur Elbequelle

(c) Dagmar Krappe
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Der Elberadweg von Cuxhaven bis ins Riesengebirge ist eine sehr bekannte Radwanderroute. Wer nicht sich nicht verausgaben will, kommt mit der České dráhy, der tschechischen Bahn, geruhsamer ans Ziel.

Herbert hat's nicht leicht. Er ächzt, dabei sind's nur 70 Meter Höhenunterschied, die der Schienenbus auf den letzten Kilometern bis Vrchlabi (Hohenelbe) im Riesengebirge bewältigen muss. In Kunčice nad Labem sind ein halbes Dutzend Wanderer eingestiegen. Sie wollen erkunden, wo die Elbe ihren Ursprung hat.

Unser „Elbebahnweg“ beginnt im sächsischen Dresden. Im Speisewagen des Eurocity 379. Wir nehmen Platz auf roten Kunststoffsesseln. Auf den Tischen liegen weiße Stoffdecken. In der winzigen Küche zischt es. Bei der tschechischen Schlaf- und Speisewagengesellschaft JLV wird noch viel frisch gekocht: Gulasch, Braten, Knödel, Schweinebackerln in Schwarzbiersauce, Schokopalatschinken. Genuss, während das Elbsandsteingebirge der Sächsischen Schweiz am Fenster vorbeifliegt. Auf der Elbe, kaum 100 Meter breit, tuckert Raddampfer Pirna vorüber.

Grenze passiert, Bierpreis passt sich an

Kurz hinter Bad Schandau, in Hrensko, ist die Grenze erreicht. Nun beginnt die Happy Hour. Soll heißen, alle Speisen und Getränke werden tschechischem Niveau angepasst. Noch ein Schluck vom frisch gezapften Pilsner Urquell, schon rollen wir in Usti nad Labem (Aussig an der Elbe) ein.

Eine Regionalbahn bringt uns rasch vom Haupt- zum Westbahnhof. Von hier startet der Schnellzug nach Melnik, dem ersten Etappenziel. Er passiert die Böhmische Pforte, ein 50 Kilometer langes Tal durch das waldreiche Böhmische Mittelgebirge, das die Elbe in vielen Schleifen durchfließt. Bis zu 600 Meter hohe Gipfel flankieren den Fluss. Getreideäcker überall, aber Fabrikschlote, Großbetriebe.

Dagmar Krappe

In Melnik münden der längste Nebenfluss, die Moldau, und der Moldaukanal in den Strom, der auf Tschechisch Labe heißt. Hoch über Weinzeilen thronen die St.-Peter-und-Paul-Kirche und das Schloss des Jíří (Georg) Lobkowicz. In Zürich geboren und Nachfahre einer der jahrhundertelang reichsten, inzwischen weitverzweigten Familien Tschechiens. „Die Fürstenfamilie stammt aus Lobkovice ein Stück flussaufwärts“, erzählt der Schlossherr: „Als nach Ende des Ersten Weltkriegs durch den Zerfall der österreichisch-ungarischen Monarchie der tschechoslowakische Staat entstand, wurde der Adelstitel aberkannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg der gesamte Besitz verstaatlicht.“ 17 Objekte bekam der Lobkowicz-Clan nach der Samtenen Revolution in den 90ern zurück. „Von einigen trennten wir uns sofort wieder. Zu traurig war ihr Zustand, zu aufwendig die Erhaltung“, sagt Jíří Lobkowicz: „Dieses Barockensemble kam 1753 in unseren Besitz.“ Edle Tropfen aus 30 Hektar Weinbau reifen in historischen Kellergewölben in Stahltanks und Barriques.

Mit der Wünschelrute zum Mineralwasser

Durch Mischwald, Getreide- und Zuckerrübenfelder rattert Zug R 785 tags darauf bis zum Kurort Podebrady. Das funktionalistische Bahnhofsgebäude (1932) erinnert an eine Lok. Wir schlendern durch den Kurpark zwischen Bahnhof und Marktplatz. Auch in Podebrady steht ein Schloss am Elbufer. „1905 war das Schicksalsjahr unserer Stadt“, erklärt Fremdenführerin Simona Slutaková: „Der damalige Schlosseigentümer beauftragte einen Wünschelrutengänger. Der entdeckte in 97 Metern Tiefe eine Mineralwasserquelle. Drei Jahre später kamen die ersten Besucher.“ Mit dem stark kohlendioxidhaltigen Wasser werden Herz-, Kreislauf- und Gelenkerkrankungen therapiert. An der Elisabethquelle im Park herrscht Gedränge, doch der Trunk ist gewöhnungsbedürftig. „Damit er Wirkung zeigt, muss man mindestens zwei Wochen lang täglich einen Becher trinken“, bemerkt Simona. Wie gut, dass wir unseren Zug um 14 Uhr erreichen müssen.

Die Stadt Pardubice ist der Endpunkt für heute. Den besten Überblick über den ostböhmischen Ort erhalten wir, nachdem wir die 154 Stufen des Wahrzeichens zelená brána (Grünes Tor) erklommen haben. Vom Turm blicken wir auf den Pernstein-Platz mit den schönen Bürgerhäusern. Über dem Häusermeer leuchtet weiß ein Renaissanceschloss, das im 16. Jahrhundert aus einer Wasserburg hervorging. Auch die kleinen Läden für verziertes Honiggebäck sind nicht zu übersehen. „Pardubice ist seit jeher die Stadt des Lebkuchens“, berichtet Ludek Sorm im Perníková Chaloupka, einem Lebkuchenmuseum: „Fünf Hersteller gibt's noch.“ Vor 20 Jahren kam ihm die Idee, die Tradition festzuhalten. Das einstige Jagdschlösschen Ráby unterhalb der restaurierten Burg Kunetická hora wurde sein „Knusperhäuschen“.

Erst fallen, dann schlingen

Am folgenden Morgen krönen Nadelbäume die zunehmend hügelige Landschaft. Von der Elbe keine Spur. Pünktlich treffen wir in Stará Paka ein, ein wichtiger Eisenbahnknotenpunkt. Ein letzter Umstieg in Kunčice nad Labem. Brotbüchse Herbert wartet schon. So nennen Eisenbahnkenner die tschechischen Triebfahrzeuge der Baureihe 810 wegen ihres eckigen Aufbaus. Sieben Minuten benötigt Herbert für die Fünf-Kilometer-Trasse nach Vrchlabi. Vorm Bahnhof starten Busse ins Wintersport- und Wanderresort Spindleruv Mlyn (Spindlermühle). Und die Elbe ist zurück! Nur wenige Meter breit gurgelt sie links, dann rechts der Straße und transportiert reichlich blank gewaschenes Geröll.

(c) Dagmar Krappe

Mit Wanderguide Radek Drhany steigen wir stetig bergauf. Er zeigt uns Wollgras und Enzian. „Der Nationalpark Riesengebirge (Krkonose) besteht aus drei Phänomenen“, erklärt er: „Wald, Tundra, Wiesen. Eingebettet in die Landschaft sind riesige Holzhäuser, einst Schutzhütten für Viehhirten und Holzfäller. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich der Tourismus. Die Gebäude wurden zu Herbergen.“ Längst sind es moderne Betriebe. Deshalb stärken wir uns vor dem weiteren Anstieg in der Dvorákova Bouda noch mit Couračka, einer Sauerkrautsuppe mit Schweinebauch.

Über einen breiten Sandweg erreichen wir die Elbwiese auf 1386 Metern. Hier im Hochmoor liegt in einem Steinring der „Geburtsort“ der „Labe“. Die wirkliche Quelle ist einige hundert Meter entfernt und aus Naturschutzgründen nicht zugänglich. Wappen von 28 bedeutenden Städten, die die Elbe durchfließt, zieren eine Steinwand. Aus den Wolken am Himmel schält sich ein kahler, grauer Gipfel, der höchste Berg des Riesengebirges, die Schneekoppe. Wir rasten für einen Moment am Elbfall, wo sich die junge „Labe“ 40 Meter in die Tiefe stürzt. Wie ein Regenwurm schlängelt sie sich dann durch den Elbgrund. Kaum vorstellbar, dass dieses schmale Wasser zu einem breiten Strom wird, um sich nach rund 1100 Kilometern bei Cuxhaven in die Nordsee zu verabschieden.

ZUR ELBEQUELLE: ERST MIT DEM ZUG, DANN ZU FUSS

Anreise: Per Bahn von Wien über Prag nach Dresden. Von dort fährt sechsmal pro Tag ein EC nach Usti nad Labem (Aussig). Weiter mit Schnellzügen oder Regionalbahnen bis Vrchlabi (Hohenelbe) im Riesengebirge. www.cd.cz, www.oebb.at Von Vrchlabi fahren oft Busse vom Bahnhof nach Spindleruv Mlyn (Spindlermühle). Fahrtdauer ca. 25 min.
Die Reise lässt sich mit Trips nach Dresden und Prag kombinieren. Möglich ist es auch, von Prag nur bis Usti nad Labem (Aussig) zu fahren und die „Elbebahnreise“ dort zu beginnen.

Unterkunft: Hotel U Cisare in Melnik. Ruhig gelegenes kleines Hotel mit zwölf Zimmern Nähe Marktplatz/Schloss, www.ucisare.cz
Pension/Restaurant Birdie in Pardubice: in Bahnhofsnähe. Nachts sind bei offenem Fenster vorbeifahrende Güterzüge zu hören. www.birdie.cz
Erlebachova Bouda oberhalb von Spindleruv Mlyn: Hotel mitten im Riesengebirge mit Wellnessbereich. Zimmer unterschiedlicher Kategorien. Restaurant mit Panoramablick. Tschechische und internationale Küche. Direkt vorm Haus beginnt der Wanderweg zur Elbequelle (8 km), www.erlebachbaude.de

Auf dem Weg: Melnik: Schloss (www.lobko- wicz-melnik.cz), St.-Peter-und-Paul-Kirche, Marktplatz, Prager Tor Podebrady: Kurpark und Schloss (www.lazne-podebrady.cz/de)
Pardubice: Grünes Tor, Schloss, Burg Kunetická Hora (www.ostboehmen.info, www.hkregion.cz/de), Lebkuchenmuse- um Perníková Chaloupka (www.perni-kovachaloupka.cz), Eisenbahnmuseum Rosice nad Labem (www.pshzd.cz)

Wandern im Riesengebirge: Elbequelle, Wasserfälle, www.krkonose.eu/de

Infos: Tschechische Zentrale für Tourismus, www.czechtourism.com

Hinweis: Die Reise wurde von Czech Tourism in Berlin und der Tschechischen Bahn unterstützt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2020)

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