Physiotherapie

Wie das Handy den Gang verändert

Mit 3-D-Tracking wird die Kniebelastung beim Gehen erfasst.
Mit 3-D-Tracking wird die Kniebelastung beim Gehen erfasst. (c) Ludwig Schedl
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Smartphones verleiten dazu, sie nebenher und ununterbrochen zu verwenden. Ob das auch Auswirkungen auf den Bewegungsapparat hat, wollen Wiener Forscher herausfinden.

Smombie – eine Wortkreuzung aus Smartphone und Zombie – war bereits 2015 das vom deutschen Langenscheidt-Verlag gekürte Jugendwort des Jahres. Es bezeichnet Menschen, die wie seelenlose Untote auf ihr Mobilgerät starren, ununterbrochen, beim U-Bahn-Fahren, beim Spazierengehen, beim Kaffeetrinken. Man trifft sie überall, wer in einem öffentlichen Verkehrsmittel einmal von seinem Bildschirm aufblickt, wird sehen, dass sie längst die Mehrheit bilden.

Jeder fünfte Fußgängerunfall in Österreich ist mittlerweile auf die Verwendung eines Smartphones zurückzuführen, meldete das Kuratorium für Verkehrssicherheit vergangenes Jahr. Städte in den USA, in China, Deutschland und Belgien setzen mittlerweile auf spezielle Bodenmarkierungen für Handybenutzer, um vor Gefahren wie Bahngleisen oder Stufen zu warnen.

Spazieren auf dem Laufband

Auch in der Physiotherapie ist dieses Verhalten mobil kommunizierender Passanten bereits angekommen, sagt der Physiotherapeut Klaus Widhalm von der FH Campus Wien: „Seit Längerem ist der sogenannte Smartphone-Neck bekannt, eine Überlastung der Nackenmuskulatur durch das Hinunterschauen aufs Smartphone, was sich auf die Bandscheiben der Halswirbelsäule auswirken kann. In unserer Forschung konzentrieren wir uns aber auf einen neuen Bereich: Die Knie- und Hüftgelenke sowie die Lendenwirbelsäule.“

Widhalm will der Frage auf den Grund gehen, welche Auswirkungen gleichzeitiges Gehen und die Benutzung eines Smartphones auf den Bewegungsapparat haben. Seine Probanden schickt er dazu auf ein spezielles Laufband, das vor einer großen, gewölbten Leinwand installiert ist. Mit einer ähnlichen Technik wie bei animierten Spielfilmen werden hier die Bewegungen – vor allem der Kniegelenke – der Versuchsperson erfasst und in ein virtuelles Straßenszenario übertragen. Gleichzeitig zeichnen Kraftmessplatten im Laufband die Belastung der Fußsohlen auf.

„Die erhobenen Daten werden dann in ein biomechanisches Modell eingespeist, das die entsprechenden Gelenkswinkel und Kräfte berechnet“, so der Physiotherapeut. Seine Hypothese: Die Nutzung des Smartphones verändert beim Gehen die Knieabduktion, also die Stellung des Gelenks hin zu einem X- oder O-Bein. „Wir erwarten, dass es zu einer schlechteren Beinachsenkontrolle kommt, das also die Abweichung des Kniegelenks etwas stärker wird. Und auch, dass es zu einer entsprechenden Haltungsveränderung der oberen Wirbelsäule und des Kopfes kommt.“

Risikofaktor Aktivitätsmangel

Ob das jedoch auch klinische Relevanz hat oder nur auf Einzelpersonen zutrifft, müssen erst die Versuchsreihen zeigen, die in den nächsten Monaten an der FH in Wien durchgeführt werden. Minimale Fehlbelastungen, die permanent und über einen langen Zeitraum auftreten, erhöhen jedenfalls das Risiko einer Arthrose – das gelte besonders in Kombination mit einem generellen Aktivitätsmangel, wie er gerade bei Jüngeren immer häufiger vorliegt, betont Widhalm. „Die muskuläre Kontrolle beim Gehen ist sehr stark abhängig vom Aktivitätszustand und von der Qualität der Bewegung. Wenn nun ein ,Dual Tasking‘ vorliegt, also mehrere motorische Tätigkeiten gleichzeitig ausgeübt werden, kann ein nicht so gut stabilisiertes Bein noch stärker von dieser Ablenkung beeinflusst sein.“

Bisher wurden solche „Dual Tasking“-Experimente vor allem im geriatrischen Bereich durchgeführt, erklärt Widhalm. So wurde etwa bei älteren Menschen untersucht, wie sicher sie volle Kaffeetassen von der Küche zum Esstisch transportieren können. Für die neue Studie lässt man die gehenden Versuchspersonen dagegen Rechenaufgaben auf dem Handy lösen.
Letztlich sollen die Ergebnisse dann in die Therapie, etwa nach Kreuzbandrissen oder Knieprothesen-Implantationen, fließen. Die Muskeln der Patienten sollen fit gemacht werden für einen Alltag, in dem das Handy auch beim Gehen nicht aus der Hand gelegt wird. Denn daran ließe sich wohl kaum mehr etwas ändern, so der Physiotherapeut. Dennoch lautet seine Empfehlung: Handy in der Tasche lassen und Kopfhörer verwenden.

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