Glaubensfrage

Gerechtigkeit für Papst Franziskus

Sein jüngstes Schreiben ist enttäuschend, aus europäischer Sicht. Diese Sicht ist ihm fremd (geblieben). Es gibt Schlimmeres.

Es mag Zufall sein oder nicht. In Kürze werden an der Spitze der katholischen Kirche Österreichs wie Deutschlands neue Männer stehen. Dass sich Kardinal Christoph Schönborn nach Lungeninfarkt und 75. Geburtstag im Frühjahr als Vorsitzender der Bischofskonferenz zurückzuziehen gedenkt, ist bekannt. Die Folgen für Österreich sind noch unabsehbar. Jetzt hat auch sein Amtskollege in München, Kardinal Reinhard Marx, diesen Schritt für die deutsche Versammlung angekündigt.

Wie viel Gewicht der Nachfolger Joseph Ratzingers im Münchner Erzbistum als Papst-Berater tatsächlich auf die Waagschale bringt oder gebracht hat, ist unsicher. Für Österreichs großen Nachbarn mit seinem eben erst trotz mahnender Worte Roms begonnenen Synodalen Weg wird es jedenfalls eng. Sehr eng. Denn mit Marx geht ein wichtiger Betreiber dieser Aktion von Bord, die als Reaktion auf die Missbrauchsfälle initiiert wurde. Mit der den Deutschen nicht immer zu Unrecht nachgesagten ernsten Gründlichkeit diskutieren mehr als 200 Bischöfen und Laien zwei Jahre vier Themen. Eines ist brisanter als das andere: Sexualmoral, priesterliche Lebensform (Zölibat!), Macht und Gewaltenteilung sowie die Rolle von Frauen in der Kirche. Bei der abschließenden Synodalversammlung sollen auch Beschlüsse gefasst werden. So viel Mut (so viel Übermut?) war in der katholischen Kirche selten seit Einberufung des Vatikanischen Konzils – oder seit dem Thesenanschlag eines Augustinermönchs.

Das vor wenigen Tagen veröffentlichte Papst-Schreiben („Geliebtes Amazonien“) mit der Verweigerung von Ausnahmen beim Zölibat bedeutet für die deutschen Katholiken nicht nur keinen Rückenwind für deren Anliegen. Angesichts des gleichzeitig deutlichen Zurückweisens von Ideen, Frauen zu Diakoninnen zu weihen, ist viel eher von Gegenwind zu sprechen. Man muss nicht eine die Grenzen des Erträglichen sprengende Wortwahl bei Kritik üben wie ausgerechnet der von Papst Franziskus als Präfekt der Glaubenskongregation abgesetzte deutsche Kardinal Gerhard Ludwig Müller. Aber die Vorgänge in Deutschland sind ein Unterfangen, das von Beginn an den Keim des Scheiterns in sich getragen hat.

In Europa hat das Amazonien-Schreiben enttäuscht, zumindest wenn man die große Mehrheit veröffentlichter Kommentare heranzieht. Für die Zentrale der Weltkirche ist das von mäßiger Bedeutung. Denn so wichtig sich Europa, gestützt auf eine jahrhundertelang katholisch geprägte Vergangenheit, nimmt: Heute lebt nur jeder fünfte Katholik auf dem europäischen Kontinent (aber immer noch fast jeder zweite Kardinal). Die europäische Sicht ist dem Papst aus Südamerika fremd geblieben. Das muss jetzt nicht zwingend den Untergang der katholischen Kirche bedeuten.

dietmar.neuwirth@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.02.2020)

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