„Thailand darf keine Bananenrepublik werden"

Thailand Kasit Piromya
Thailand Kasit Piromya(c) (Michaela Bruckberger)
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Der thailändische Außenminister Kasit Piromya über die jüngsten Unruhen in Bangkok, das destruktive Treiben des flüchtigen Ex-Premiers Thaksin Shinawatra und unprofessionelle internationale Berichterstatter.

Die Presse: Viele Österreicher kennen Ihr Land gut, gehen gerne dorthin auf Urlaub. Aber die politischen Ereignisse der vergangenen zwei Jahre schrecken inzwischen viele von einem Thailand-Urlaub ab ...

KASIT PIROMYA: Bei all den Protesten in den Straßen von Bangkok während der vergangenen zwei Jahre sind keine Touristen zu Schaden gekommen. Die meisten Proteste haben sich in einer sehr begrenzten Zone der Stadt abgespielt. Trotz der Demonstrationen konnte die Mehrheit der Gesellschaft ihr normales Leben fortsetzen. Die Regierung arbeitete, das Parlament verabschiedete eine Reihe von Gesetzen, auch das Budget. Thailand war auch international immer präsent und aktiv. Das Land als Ganzes wurde von den Protesten nicht in Mitleidenschaft gezogen.Trotz aller Schwierigkeiten sind wir eine sehr offenes, Markt-orientiertes Land geblieben, das ausländische Geschäftsleute, Investoren und Touristen willkommen heißt. Was in den letzten zwei Jahren passiert ist, war sehr unglücklich. Es ging nur um die Gier nach Macht eines einzigen Mannes und seiner Unterstützer. Das hat der Gesellschaft enorm geschadet.

Und jetzt ist es ruhig?

KASIT: Natürlich lenken kleine Proteste in einer Straße hier oder dort immer sofort die Aufmerksamkeit der Medien auf sich, vor allem der großen internationalen TV-Sender wie CNN oder BBC. Das ist zwar verständlich, aber gelegentlich werden solche Proteste völlig übertrieben dargestellt.

Warum gibt es überhaupt diese Proteste?

KASIT: Anfänglich ging es um die Unterstützung des früheren Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra, der in Thailand wegen einer Vielzahl von Korruptionsdelikten angeklagt ist. Die Demonstranten forderten seine Amnestierung, aber nicht durch das Parlament, sondern gleichsam durch politischen Druck von der Straße. Es ging zunächst also nicht um soziale oder politische Probleme, sondern um das Schicksal eines einzigen Mannes. Dieser Mann verfügt über ein immenses Vermögen, er hat die Proteste finanziert.

Und worum ging es bei den Protesten zuletzt?

KASIT: Seit April hat sich der Charakter der ursprünglich friedlichen Proteste verändert. Es sind bewaffnete Elemente aufgetaucht, die die Demonstrationen in einen Aufruhr umgewandelt haben. Die Regierung versuchte, das Ausufern der zunehmend gewalttätigeren Proteste zu verhindern, und der eigenen Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft zu erklären, worum es da überhaupt geht. Ich glaube, die internationale Gemeinschaft, hat in den letzten zwei, drei Wochen begonnen, die Sache zu verstehen. Es geht nur um eine kleine Gruppe von Menschen, die an die Macht will, und die einen Regierungswechsel durch den Druck der Straße herbeiführen will

Und jetzt steckt Thailand in der Sackgasse?

KASIT: Premierminister Abhisit Vejjaijiva hat zuletzt einen fünf Punkte umfassenden nationalen Versöhnungsplan präsentiert. Es geht zunächst darum, die Anführer des Protests von den gewöhnlichen Demonstranten zu separieren. Diejenigen, die Missetaten begangen haben, müssen sich vor Gericht zu verantworten. Inzwischen haben wir auch vier unabhängige Kommissionen eingesetzt, die von anerkannten und integeren Leuten geleitet werden. Sie sollen Vorschläge zur Überwindung sozialer Ungleichheit, zur Lösung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und politischer Probleme machen. Ich erwarte, dass die Kommissionen bis Ende des Jahres Empfehlungen für politische Reformen und Verfassungszusätze abgeben werden. Dann soll das Volk bei einem Referendum darüber abstimmen können. Wenn diese Entscheidung des Volkes daliegt, wird der Ministerpräsident die Auflösung des Parlaments verkünden und Neuwahlen anordnen. Innerhalb von neun Monaten sollte es also ein neues Parlament und eine neue Regierung geben, das Leben wird dann wieder seinen gewöhnlichen Lauf nehmen.

Sie nennen als Ursache des Konflikts vor allem das ominöse Wirken von Thaksin Shinawarta. Aber der Konflikt wird international doch immer wieder so dargestellt, dass er soziale Wurzeln hat, dass da das arme, ländliche Thailand im Norden gegen die wohlhabende Elite von Bangkok aufbegehrt. Hat der Konflikt auch soziale Wurzeln?

KASIT: Im April gab es den besagten Taktikwechsel bei den Regierungsgegner: Anstatt Unterstützung für Thaksin, um ihm zur Rückkehr an die Macht zu verhelfen, war plötzlich eine marxistisch-leninistische Interpretation über das Wesen der thailändischen Gesellschaft zu hören. Das war ein guter Verkaufsschlager, denn diese Propaganda hat die Herzen der Menschen in Thailand und die Vorstellungswelt der internationalen Gemeinschaft berührt. Vor allem die in Bangkok stationierten internationalen Medien haben diese Propaganda verbreitet. Ich glaube, die haben ihre Arbeit nicht professionell gemacht. Sie haben Nachrichten für ihre eigenen kommerziellen Zwecke verkauft, waren nicht unparteiisch.

Unsere Frage drehte sich nicht um die internationale Berichterstattung, sondern um mögliche soziale Wurzeln des thailändischen Konflikts.

KASIT: Es gibt soziale Krankheiten und Unterschiede in Thailand. Aber in den vergangenen 30 Jahren ist bei uns eine starke Mittelklasse herangewachsen, Thailand ist viel urbaner und egalitärer geworden. Das Pro-Kopf-Einkommen betrug vor 20 Jahren noch 800 bis 1000 Dollar, jetzt liegt es bei 6000 Dollar. Thailand also als Gesellschaft mit einer gewaltigen Kluft zwischen Arm und Reich darzustellen, ist schlicht ein falsches Bild. Die internationalen Medien sollten das besser wissen, stattdessen haben sie die Tatsachen verdreht. Das ist auch der Grund dafür, dass Thailands schweigende Mehrheit sich gerührt und gegen das Verhalten bestimmter Medienleute protestiert hat, zum Beispiel eines Berichterstatters von CNN. Das ist nicht von der Regierung initiiert worden. In den letzten Wochen hat sich das internationale Bild etwas gewandelt. Ich selbst habe allen Außenministerkollegen in der Welt geschrieben, bin sehr viel gereist, um der Welt Schwarz auf Weiß zu erklären, was da wirklich gelaufen ist.

Ist es im Zuge des anvisierten Versöhnungsprozesses denn denkbar, dass die Regierung eines Tages auch Gespräche mit Thaksin Shinawatra führen wird?

KASIT: Wir verhandeln nicht mit einem Kriminellen. Er hätte schon vor langem nach Thailand zurückkehren sollen. Er ist aus Bangkok weg gerannt, nachdem er einen Prozess verloren hatte. Er hätte sich der Verantwortung für seine Verbrechen stellen sollen, stattdessen hat sich aus dem Staub gemacht und hat von außerhalb eine Kampagne gestartet, um sich reinzuwaschen und mit illegalen und gewalttätigen Mitteln zurück an die Macht zu kommen. Nein, es gibt keinen Grund, mit ihm zu verhandeln. Er muss zurückkommen, sich den Gerichten stellen und seine Strafe absitzen. Wir glauben an die Professionalität und die Integrität unseres Rechtssystems. Es gibt so viele Anklagen gegen ihn, er selbst hat auch viele Leute angezeigt, unter anderem auch mich und den Premierminister. Wir stellen uns dem Gericht, wir rennen nicht einfach davon. Seine Unterstützer hatten die Gelegenheit, meinen Ministerpräsidenten zu treffen, die Regierung hat mit der Opposition gesprochen. Aber für Vergebung oder Amnestie ist nicht die Regierung zuständig. Das ist die Sache der Justiz.

Aber offensichtlich hat Thaksin nach wie vor starken Einfluss auf einen Teil der thailändischen Gesellschaft.

KASIT: Schlecht, aber wahr. Nur, wir müssen uns an jeden Buchstaben des Gesetzes halten. Wir brauchen nicht über Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichhkeit reden, wenn jemand, der so reich und auch populär ist, glaubt, über dem Gesetz stehen zu können. Wir wollen einfach nicht, dass Thailand sich in eine Bananen-Republik verwandelt, wo sich jemand mit viel Geld benehmen kann wie er will. Herr Thaksin tut amoralische und illegale Dinge, das ist nicht akzeptabel. Die Thailänder sind sehr zivilisierte Leute, sie verzeihen keinem Kriminellen.

Welche Reformen halten Sie denn im Zuge des angepeilten Versöhnungsprozesses für die wichtigsten?

KASIT: Politische und ethische Reformen: Thailand ist durchdrungen von Korruption auf allen Ebenen. Herr Thaksin ist ein sehr korrupter Mann, er ist eine Reflexion dieser schlechten Seite unserer Gesellschaft. Soziale Ungleichheiten kommen auch daher, weil viel Geld aus dem Budget durch die Korruption verloren geht. Moralische Werte, ethische Standards, gute Regierungsführung sollten auch Maßstäbe in der thailändischen Gesellschaft werden. Wir brauchen auch mehr Transparenz bei öffentlichen Aufträgen, da passiert soviel Betrug und Bestechung. Transparenz, Verantwortlichkeit, Kontrolle, Herrschaft und Durchsetzung des Rechts sind Gebote der Stunde. Soziale Ungleichheit und wirtschaftliche Ungerechtigkeit sind Resultate der Korruption. Zum Riesenproblem aber ist die Korruption geworden, weil Leute in der Regierung ihre Macht schamlos missbraucht haben, um sich zu bereichern

Müsste nicht auch der ganze thailändische Sicherheitsrat reformiert werden?

KASIT: In der Tat. Ich bin vor allem für eine Reform der Polizei. Die Polizei hat sich zum Teil wie ein Staat im Staate verhalten. Es gibt so viel Korruption innerhalb der Polizei und vieler thailändischen Behörden. Kanada hat die Polizei reformiert, Hongkong hat das erfolgreich getan - wir können uns da Beispiele nehmen.

Vor kurzem regten Sie in einer Rede in Washington eine Reform der Monarchie an, um sie den Gegebenheiten einer globalisierten Welt anzupassen. Sie wurden dafür von der Opposition heftig kritisiert.

KASIT: Ich versuchte zu vermitteln, dass die Institutionen der thailändischen Monarchie und Thailand als Ganzes fähig sein müssten, sich an verändernde globale Umstände anzupassen. Selbst auf dem Höhepunkt der Kolonialära waren die thailändischen Könige imstande, diplomatische Beziehungen zu unterhalten und Neuerungen in der thailändischen Gesellschaft zu forcieren - im Bildungs, Gesundheits- und Transportwesen. Die Globalisierung zwingt uns zu Veränderungen und zur Anpassung an neue Entwicklungen.

Die Opposition aber hat sie beschuldigt, respektlos gegenüber der Monarchie zu sein.

KASIT: Ja, und ich überlege deswegen, vor Gericht zu gehen. Die Opposition hat im und außerhalb des Parlaments jedes Mittel angewandt, um meinen Namen zu beschmutzen, mich zu schmähen, mir Schwierigkeiten zu machen und mich aus dem Amt zu drängen. Da wird unter unterhalb der Gürtellinie Politik gemacht. Schade, dass die Qualität mancher thailändischer Politiker unterhalb der Würde des Landes angesiedelt ist.

Wenn der Versöhnungsprozess schiefgeht, wäre als Horrorszenario dann sogar ein Bürgerkrieg denkbar?

KASIT: Nein, der Versöhnungsprozess geht nicht schief. Es ist erwiesen, dass die Anwendung von bewaffneter Gewalt durch Herrn Thaksin und seine Kohorten während der vergangenen zwei Jahre nicht die Unterstützung der Bevölkerung fand. Die bewaffneten Elemente unter den Demonstranten waren nur ein paar hundert. 99 Prozent der thailändischen Bevölkerung lehnt Gewalt ab. Es gibt also keine Basis für einen Bürgerkrieg in Thailand, Thaksin und seine Anhänger werden da keinen Erfolg haben. Die Thailänder sind ein friedliche und gesetzestreue Bürger, deshalb können wir es ein paar Verrückten nicht erlauben, das Land zu regieren. Das wird auch nie passieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2010)

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