Bachmann-Preis: Voyeuristischer Blick auf die Welt

BachmannPreis Voyeuristischer Blick Welt
BachmannPreis Voyeuristischer Blick Welt(c) EPA (GERT EGGENBERGER)
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Der Bachmann-Preis ging an den deutschen Autor Peter Wawerzinek für "Rabenliebe". Für Empörung sorgte ein anderer Text, dessen Sprache keine Distanzierung vom grausamen Geschehen zeigte.

Lange sah es in Klagenfurt beim Ingeborg-Bachmann-Lesewettbewerb so aus, als würde man heuer keinen Preisträger finden. Erst am dritten Tag fand Peter Wawerzineks Text „Rabenliebe“ weitgehend einhellige Zustimmung der siebenköpfigen Jury. Da die drei folgenden Kandidaten wieder kontroversieller diskutiert wurden, gab es nach den 14 Lesungen und Diskussionen einen eindeutigen Favoriten. So ging der 34. Bachmann-Preis mit 25.000 Euro an den ältesten Teilnehmer: den 1954 geborenen Peter Wawerzinek.

Der erste Tag verlief flau. Sabrina Janesch, Volker H. Altwasser, Christopher Kloeble, Daniel Mezger lasen, die Jury urteilte für den Beginn vergleichsweise scharf, das Publikum flüchtete zum Fußball, zu den „Public-Viewing“-Plätzen beim Lindwurm und anderswo.

Elmiger: Endzeitstimmung

Als Letzte des Tages las die junge Schweizerin Dorothee Elmiger und verbreitete Endzeitstimmung. Ihre „Einladung an die Waghalsigen“ ließ zum ersten Mal aufhorchen: „Unser Erbe ist ein verlassenes Gebiet“, hieß es dort, was Neo-Juror Hubert Winkels als „Parabel einer Jugend“ interpretierte und mit Horváths Roman „Jugend ohne Gott“ verglich. Es ist eine „Lost Generation“, die Elmiger hier vorstellt und in Bibliotheken (wohlgemerkt nicht in „Google Books“) nach Neuland suchen lässt. „Das Land liegt auf dem Rücken, es funktioniert nicht mehr“, sagt eine Figur, was man auch als Kommentar zu Finanzkrise und Ölpest lesen kann. Zu Recht erhielt die angehende Politikwissenschaftlerin den mit 10.000 Euro dotierten Kelag-Preis.

Der zweite Tag begann, wie der erste geendet hatte: mit apokalyptischen Visionen. Wo Elmiger „eine Feier des Fragments in einer fragmentierten Zeit“ (Jurorin Hildegard E. Keller) inszeniert hatte, betrieb Thomas Ballhausen mit seinem Text „Cave canem“ Forschungen in der „rearchäisierten Zone“. „Das ist immer noch eine Welt, die darauf vergessen hat, ihre Mythen und ihre Lieben zu begraben, sie faulen vor den Augen aller vor sich hin“, hieß es da. Juror Hubert Winkels merkte kritisch an, dass man im Unterschied zu Elmigers Text nicht in den Raum gezogen werde und der Autor „ständig sagt, was er tut“. Deshalb schaffte es Ballhausen nicht einmal auf die Shortlist des Bachmann-Preises.

Am nächsten Tag sorgte zunächst Aleks Scholz für einige Wellenbewegungen am Wörthersee. Kommt der 1975 in der DDR geborene, von Winkels nach Klagenfurt eingeschleuste Scholz doch aus dem Stall der „Zentralen Intelligenz Agentur“ (ZIA), das ist ein Internet-Projekt, das nach eigener Aussage „intellektuelle Obsessionen in geschmeidige Kulturformate“ verwandelt und mit Kathrin Passig 2006 bereits eine Bachmann-Preisträgerin stellte. Seither macht sich die ZIA Gedanken darüber, „Wie man den Bachmannpreis gewinnt“. So heißt ein eben erschienener Band von Angela Leinen (Heyne Verlag), mit einem Vorwort von Kathrin Passig. Darin heißt es: „Der Klagenfurter Bewerb ist kein Messinstrument, sondern ein geschickt getarntes U-Boot. Er täuscht die äußeren Merkmale einer Sortiertätigkeit vor, aber das geschieht nur zur Unterhaltung des Zuschauers.“

Scholz: Welt ohne Menschen

Ebendiese bescherte jedenfalls Aleks Scholz mit dem Text „Google Earth“, der mit dem Ernst-Willner-Preis (7000 Euro) ausgezeichnet wurde. Darin blickt ein „überauktorialer Erzähler“ aus der Perspektive von Google Earth auf zwei nebeneinanderliegende Grundstücke, auf denen u.a. ein Zwergschnauzer lebt, der „scheinbar ohne jedes Fortbewegungsmittel über den Rasen“ gleitet, wie der Zoom von Google Earth. Der nimmt nur noch Äußerliches wahr, keine menschlichen Regungen. Es ist, wie Winkels meinte, ein „Entwurf einer Welt ohne Menschen“.

Zander: entseelter Blick

Einen entseelten Blick auf die Wirklichkeit warf dann Judith Zander, die monoton die Geschichte eines 16-jährigen, völlig apathischen Mädchens vortrug, das durch eine Vergewaltigung schwanger wird. Juror Paul Jandl attestierte in lobender Absicht „kruden Realismus“, vermutlich im Gegensatz zum „digitalen Realismus“ bei Aleks Scholz. Dass Zander dafür den mit 7500 Euro dotierten 3sat-Preis erhielt, war nicht unbedingt zu erwarten, da andere Texte größere Zustimmung erhalten hatten. Doch das liegt an der Dynamik der Preisermittlung. Klagenfurt und die Realität, ein gespanntes Verhältnis. Dass dieses auch literarisch seinen Niederschlag gefunden hat, war das Besondere an den 34. Tagen der deutschsprachigen Literatur. Zwei Texte sind dafür symptomatisch. Erstens der von Josef Kleindienst vorgestellte Beitrag, der sich harmlos „Ausflug“ nennt, dessen Sprache aber, wie Jandl zu Recht anmerkte, sich zum „Komplizen der Gewalt“ macht. Ginge es in Klagenfurt mit rechten Dingen zu, hätte dieser Text einen Eklat auslösen müssen. Doch auch unangesagte Skandale finden dort nicht statt. Hat man in Kärnten doch offenbar Übung darin, Skandale zu exportieren. So beginnt, frei nach Karl Kraus, der Bachmann-Preis-Skandal, wenn die Jury ihn beendet.

Kleindienst: Ein Skandal

Dass Kleindiensts Text von der Jury diskutiert statt aus dem Bewerb ausgeschlossen wurde, ist der eigentliche Skandal. Wobei es nicht um den gewalttätigen Inhalt dieses Beitrags geht. Man weiß ja, was Menschen Menschen anzutun imstande sind. Es geht um die Form der Darstellung, es geht um die Sprache des Textes, die keinerlei Distanzierung vom grausamen Geschehen erkennen lässt.

Ebendiese entmenschlichte Perspektive hat er mit Aleks Scholz' Text gemeinsam. Beide blicken ebenso voyeuristisch wie unbeteiligt auf die Welt, Kleindienst von der Hölle aus, Scholz vom Himmel. Beiden geht somit die irdische Dimension verloren. Und so stellt sich die Frage nach der Authentizität. Hyperrealität kontra Metarealität, Kleindienst kontra Scholz: Das war das Match, das heuer in Klagenfurt gespielt wurde. Und sehr wohl etwas über unsere Zeit aussagt.

Wenn die zeitgenössische Literatur die Authentizität flieht, dann vielleicht deshalb, weil sie die reale Welt unecht empfindet und die medial vermittelte Welt als die eigentliche Realität betrachtet. Es ist, wie Matthias Politycki in einem Essay für „Focus“ schrieb, „die grassierende Uneigentlichkeit einer medial überformten Eventgesellschaft“. So gesehen dient nicht nur die Literatur als solche, sondern sogar der medial vermittelte Bachmann-Preis nicht nur der Unterhaltung, sondern auch dem Erkenntnisgewinn.

DER BACHMANN-PREISTRÄGER 2010

Peter Wawerzinek wurde 1954 in Rostock geboren. Seine Familie floh kurz nach seiner Geburt in den Westen und ließ das Kind in der DDR zurück. Wawerzinek verbrachte zehn Jahre in staatlichen Kinderheimen, bis er von einem Lehrerehepaar adoptiert wurde und an der Ostsee aufwuchs.

„Rabenliebe“, der preisgekrönte Text, dessen Langfassung im August als Buch erscheint, behandelt ebendiese Kindheitsgeschichte. Als Motto steht darüber: „Ich habe gedacht, wenn ich mich schreibend verschenke, entfliehe ich dem Teufelskreis der Erinnerung. Schreibend bin ich tiefer ins Erinnern hineingeraten als mir lieb ist.“

Preise: 1991 Bertelsmann-Stipendium beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt; Kritikerpreis für Literatur. 1993 Stipendium des Deutschen Literaturfonds; Hörspielpreis der Akademie der Künste Berlin. 2009 Stipendium der Stiftung Preußische Seehandlung.

Bücher: „Es war einmal...“, Parodien zur DDR-Literatur (1990), „Nix“ (1990), „Moppel Schappiks Tätowierungen“ (1991), „Das Kind, das ich war“, Autobiografie (1994), „Mein Babylon“, Liebesroman (1995), „Caf Komplott“, Krimi (1998), „Sperrzone“, Reisebericht (2000), „Sperrzone reines Deutschland“ (2001), „Mein Salzkammergut“ (Edition St. Wolfgang, 2008)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2010)

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