Gustav Mahler, eine Korrektur

Es gibt auch in unseren oberflächlichen Zeiten feinfühlig gemachte Filmdokumentationen, die Wissen vermitteln, ohne zu schulmeistern, die aber auch ohne die heute mehrheitlich unvermeidlichen Brutalitäten und Schwarz-Weiß-Zeichnungen auskommen.

Eine solche Rarität ist heute, Montag – nächtens, versteht sich –, in ORF2 (23.15 Uhr) zu sehen. Auf Gustav Mahlers Spuren wanderte Beate Thalberg. Sie entdeckte unveröffentlichte Tagebücher von Mahlers Muse, der Bratschistin Natalie Bauer-Lechner, die uns den Menschen Mahler nahebringen.

Anders als die Memoiren von Mahlers Witwe Alma, um derentwillen er seine Seelenfreundin Natalie verließ, führt uns Bauer-Lechner den Komponisten selbst vor Augen, nicht das, was sie von ihm zur Darstellung ihrer eigenen Persönlichkeit benötigt. Von den unerträglichen Selbstbeweihräucherungen Almas sind Natalies Aufzeichnungen, scheint's, frei. Jedenfalls zeigt uns das Fernsehporträt im Spielfilmstil, mit Darstellern wie Petra Morzé und Robert Ritter, wirklich lebensnah Momentaufnahmen eines nervösen, wagnerhörigen, doch in seiner eigenen musikalischen Traumwelt verlorenen Künstlers. Anspielungen auf Marotten, die sich durch den knapp einstündigen Streifen ziehen, verraten die liebevolle, detailversessene Regisseurin ebenso wie die enigmatische Harmonisierung von bekannten Mahler-Porträts mit der Physiognomie des Hauptdarstellers.

Zur bestechenden Gesamtwirkung der Dokumentation, die chronologisch mit der Verlobung Mahlers mit Alma Schindler endet, gehört die exquisite musikalische Begleitung. Die Fragmente aus Mahler'schen Symphonien und Vokalwerken stimmen perfekt mit Stimmungslage und Filmsequenzen überein.


Zauberhaft die zweimalige Anspielung auf die behutsam liebende Gefährtin, die zuweilen einsam ihrem Bratschenspiel frönt – und ein Fragment aus Johannes Brahms' Opus 91 spielt: „Gestillte Sehnsucht“ – eben das, wofür Mahler nicht berühmt wurde! Claudius Traunfellner war für den musikalischen Teil verantwortlich, mit ein Grund, dass dieses Projekt so rundum konsequent und in allen Teilen glücklich geplant und ausgeführt wurde.

„Es wird gerannt, geradelt, geschwommen und gestürzt. Es wird geflüstert, geschrien, gelogen, gelacht. Ich wollte echte Menschen, keine Abziehbilder der Geschichte“, meinte Beate Thalberg. Das ist ihr gelungen, darf man ihr auf diesem Wege mitteilen. Selbst ein Moment des Déjà-vu-Erlebnisses wie jenes, in dem Mahler beim Sturz vom Rad im Moment des glücklichsten Beisammenseins mit Natalie Alma vor Augen erscheint, geriet absolut stimmig und unverkitscht – das ist genau das, was unsere Mahler-Anschauung, die vor Kitsch längst trieft, braucht. „Meine Zeit wird kommen“, meinte der Komponist; „unsere Zeit“, sagt er zu Natalie noch... Heute ist zu viel Mahler um uns, zu viel falscher jedenfalls. Da tun solche Korrekturen gut.


wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.06.2010)

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