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Was hinter den Defizit-Prognosen der Gesundheitskasse steckt

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++ THEMENBILD ++ �STERREICHISCHE GESUNDHEITSKASSE (�GK)(c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Über das angekündigte massive Defizit der neu gegründeten Gesundheitskasse herrscht Unklarheit. Türkis-blaue Beschlüsse dürften die Kasse mit 744 Millionen Euro belastet haben. Minister Anschober ordnet einen Kassasturz an.

Die neu geschaffene Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) könnte in ein gewaltiges Defizit rutschen. Und das, obwohl die Fusion der Gebietskrankenkassen von der damaligen türkis-blauen Regierung eigentlich als große Einsparmöglichkeit gepriesen worden war. Aktuelle Prognosen zeigen ein Defizit von etwa 1,7 Milliarden Euro bis ins Jahr 2024.

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Daran, wie die Zahlen zustande gekommen sind, gibt es nun Kritik von Experten. Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne) will deshalb mit einem Kassasturz für Klarheit sorgen. „Derzeit versuchen wir mit einem Kassasturz absolute Transparenz zu schaffen“, sagte er am Dienstag im ORF-Radio Ö1. Außerdem lädt Anschober zu einem runden Tisch.

An dem Treffen am Mittwochabend sollen sowohl Vertreter des Finanzministeriums als auch der ÖGK und des Dachverbands teilnehmen, kündigte der Minister an. Er möchte den Prognosen auf den Grund gehen, nachdem von Ökonomen Kritik am Zustandekommen der Zahlen gekommen ist. Dafür werde es neben dem ersten Treffen am Mittwoch wohl weitere Gespräche brauchen, hieß es aus Anschobers Büro.

Experten: Zahlen nicht nachvollziehbar

Zu den Kosten der Kassenfusion hatte sich die damalige türkis-blaue Regierung, die die ÖGK als Prestigeprojekt initiiert und eine „Patientenmilliarde“ versprochen hatte, stets zurückhaltend gegeben. Eine vom Sozialministerium - damals geführt von Beate Hartinger-Klein (FPÖ) - in Auftrag gegebene Studie bezifferte die Fusionskosten mit 300 bis 400 Millionen Euro.

In der Gebarungsvorschau der ÖGK wurde im Vorjahr für 2020 ein Verlust von 175,3 Millionen Euro prognostiziert - in den Folgejahren steigt er: 2021 auf 178,1 Millionen, 2022 auf 295 Millionen, 2023 auf 507,9 Millionen und 2024 auf 544 Millionen Euro. Kumuliert würde das einen Bilanzverlust von 1,7 Milliarden Euro in fünf Jahren bedeuten.

Worauf diese Prognosen fußen, wurde aber nicht angegeben. Experten halten sie für teils nicht nachvollziehbar. Ernest Pichlbauer, ein unabhängiger Gesundheitsökonom, sagte am Montag etwa gegenüber Ö1 zu den Berechnungsgrundlagen der Krankenkassen, deren Fünf-Jahres-Prognosen hätten bislang nie gestimmt. Pichlbauer sprach in puncto „Patientenmilliarde“ ebenfalls von „Zahlenmystik“: Rechnerisch sei diese nie darstellbar gewesen.

Politisch ist das Defizit jedenfalls ein Spielball für Schuldzuweisungen. Der ÖVP-Politiker Peter Lehner, mittlerweile Chef des neuen Dachverbands der Sozialversicherungsträger, nannte etwa „die Beschlüsse der roten Selbstverwaltung“ als Begründung für die Lage der ÖGK. Die türkis-blaue Reform sei „definitiv nicht“ schuld daran. Die SPÖ ortete indes einen „Milliardenschaden“ durch die Fusion. Durch die von Türkis-Blau 2018 verordnete „Ausgabenbremse“ habe es keine Teuerungen geben können.

Arbeitnehmervertreter: Türkis-blaue Beschlüsse belasten ÖGK

Am Dienstag veröffentlichte die Arbeitnehmervertreterseite in der ÖGK Berechnungen, dass türkis-blaue Beschlüsse der neuen Kasse insgesamt 744 Millionen Euro an Verlust bescheren würden. Den größten Posten macht dabei mit knapp einer halben Milliarde Euro dabei der Pauschalbetrag aus, den die Unfallversicherung AUVA der ÖGK für vorab bezahlte Arbeitsunfälle leistet. Wegen der Beitragssenkung der AUVA wird dieser ab 2023 gestrichen.

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Die sogenannten GSBG-Mittel, der Steuerzuschuss des Bundes an die Krankenversicherung, wurde für 2020 um 30 Millionen gekürzt - das summiert sich auf 174 Millionen. Die niedrigere Dotierung für die Gesundheitsförderung macht 3,7 Millionen aus. Die höheren Zahlungen für die Privatkrankenanstaltenfonds (Prikraf), insbesondere wegen der Aufnahme der Privatklinik Währing, summieren sich auf 65 Millionen und ein höherer Pflegekostenzuschuss für nicht im Prikraf befindliche Privatspitäler auf 2,3 Millionen. Dazu kommen noch Belastungen für die AUVA durch die Senkung des Unfallversicherungsbeitrages von mehr als 600 Millionen Euro.

Dass mit den errechneten 744 Millionen für die gesetzlichen Beschlüsse fast eine Milliarde auf die erwarteten 1,7 Milliarden Defizit der ÖGK bis 2024 fehlen, wird unter anderem damit begründet, dass man die Gebarungsvorschau aufgrund der Rechnungslegungsvorschriften "mit kaufmännischer Vorsicht" erstellt habe. So wie in den vergangenen Jahren sei zu erwarten, dass das tatsächliche Ergebnis dann etwas besser ausfallen werde.

ÖGK-Generaldirektor: „Keine Panik verbreiten“ 

ÖGK-Generaldirektor Bernhard Wurzer hat angesichts der prognostizierten Verluste von einer „massiven Verunsicherung“ gesprochen und alle Verantwortungsträger aufgerufen, „keine Panik zu verbreiten“. „Ja, es ist ein schwerer Rucksack, der uns umgehängt wurde, aber wir sind angetreten, um das zu bewältigen und die ÖGK finanziell zu stabilisieren“, sagte Wurzer am Dienstag.

Die genannten Zahlen von insgesamt 1,7 Milliarden Defizit bis 2024 seien eine Prognoserechnung, die auf den Zahlen der neun früheren Gebietskrankenkassen beruhe. „Sie zeigt, was passiert, wenn keine Maßnahmen getroffen werden. Ob und in welcher Form diese Prognosen eintreffen werden, hängt davon ab, welche Instrumente man dem Management zur Steuerung in die Hand gibt, um die Zielsetzungen der Fusion umsetzen zu können.“

Er betonte, dass die ÖGK erst seit 43 Tagen operativ sei und man mit der Fusion im Plan liege. Es stimme, „dass wir von den neun Gebietskrankenkassen, die zur ÖGK zusammengeführt wurden, viele Schulden übernehmen mussten“ - das sei aber keine Überraschung: Die Budgetprognosen jeder einzelnen GKK seien schließlich vier mal pro Jahr veröffentlicht worden. "Die Zahlen, die jetzt am Tisch liegen, sind einfach die Summe all dieser Zahlen - unsere Eröffnungsbilanz.“  Die ÖGK werde nun bei der Verwaltung sparen. In Leistungen für die Versicherten wolle man investieren. „Für die Versicherten ist die Fusion zur ÖGK schon jetzt positiv spürbar und das wird auch so bleiben“, verwies Wurzer auf die schon erfolgten Leistungsharmonisierungen.

Kein Kommentar von Kanzler Kurz

Von den früheren Koalitionspartnern ÖVP und FPÖ gibt es zu den aktuellen Zahlen wenig Reaktion. Herbert Kickl, unter Türkis-Blau Innenminister und heute FPÖ-Klubchef, sagte am Dienstag, er könne nicht bewerten, wie ernst die jüngsten Prognosen seien. „Ich gehe davon aus, dass damals sehr solide gerechnet wurde, jetzt rechnen halt andere, dann werden wir schauen, was dann unter dem Strich herauskommt“, sagte er und fügte an, dass selbst jene, die nun „sehr skeptisch“ seien, davon ausgingen, dass sich die Kassenfusion zumindest in einiger Zeit rechnen werde: „Wir sind zum Ergebnis gekommen, dass es sich früher rechnet, also rechnen tut es sich auf jeden Fall, das ist die gemeinsame Schnittmenge“, so der blaue Politiker.

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wollte am Dienstag am Rande eines Termins keine Stellungnahme zur ÖGK abgeben. Bei der Präsentation der Sozialversicherungs-Fusion hatte der Kanzler noch behauptet, dass die Reform eine Milliarde Euro sparen werde. Wörtlich sagte er: „Wir sparen im System und schaffen es so eine Milliarde bis 2023 zu lukrieren, die wir unmittelbar für die Patientinnen und Patienten investieren wollen.“


>> zum Beitrag im Ö1-"Mittagsjournal"

(APA/Red.)

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