LIANYUNGANG, CHINA - DECEMBER 08: Shipping containers sit stacked at Lianyungang Port on December 8, 2019 in Lianyungan
Coronavirus

Stresstest für die Supply Chain

Noch sind die Auswirkungen der Grippeerkrankung auf die weltweiten Versorgungsketten gering. Bei Verschlechterung der Situation ist gutes Krisenmanagement ein entscheidender Wettbewerbsvorteil.

Die durch das Coronavirus ausgelöste Situation in China macht nicht nur Medizinern Sorgen. China ist mit einem Volumen von 2,3 Billionen Dollar die größte Exportnation der Welt, bei den Importen liegt das Land im globalen Vergleich mit 1,8 Billionen Dollar an zweiter Stelle. Wie weit das in diesem Riesenreich grassierende Virus die Lieferketten rund um den Globus anstecken wird, lässt sich heute kaum abschätzen. „Momentan sehen wir in Europa noch keine großen Auswirkungen, weil aufgrund des chinesischen Neujahrs die meisten Lager gut gefüllt sind“, erzählt Michael F. Strohmer, Partner und Managing Director beim Beratungsunternehmen Kearney. In zwei bis vier Wochen werde sich zeigen, wie resistent die Wirtschaft in China und im Rest der Welt gegen das neue Virus ist.

Umsatzeinbußen nicht ausgeschlossen

Österreichische Unternehmen, die im Reich der Mitte produzieren, berichten, dass die Probleme derzeit noch überschaubar seien. Hebespezialist Palfinger etwa betreibt in Rudong nahe Shanghai und in Qingdao Produktionsstätten. Während das relativ kleine Marinewerk mit 50 Mitarbeitern nach den Feiertagen voll arbeitet, kann ein Teil der 400 Mitarbeiter des Betriebs in Qingdao aufgrund der Reisebeschränkungen noch nicht zur Arbeit erscheinen. Alle drei chinesischen Werke des Leiterplattenherstellers AT&S in Chongqing und Shanghai sind – mit eingeschränkten Kapazitäten – mittlerweile wieder in Betrieb. „Da in China strenge Quarantäne-Bestimmungen gelten und auch das Transportsystem eingeschränkt ist, besteht die größte Herausforderung für uns, die Mitarbeiter in die Fabriken zu bringen“, sagt AT&S-Unternehmenssprecher Gerald Reischl. Die Ausfälle in den Werken treffen die österreichischen Unternehmen unterschiedlich. AT&S beschäftigt rund 7000 Mitarbeiter in China und produziert vor Ort einen Großteil des Konzernumsatzes. Die einzelnen Werke sind hoch spezialisiert und Produktionsverlagerungen kaum möglich. Das Unternehmen hat deshalb den Ausblick für das laufende Quartal angepasst. Anders die Situation bei Palfinger. Das Werk in Rudong fertigt primär für den chinesischen Markt. Außerdem sei das global agierende Unternehmen auf Ausfälle vorbereitet: „Wir produzieren weltweit und haben die Flexibilität und Kapazitäten, um Produktionen in andere Werke zu verschieben“, berichtet Pressesprecher Hannes Roither. Bei allen wichtigen Zulieferungen werde zudem eine Double-Sourcing-Strategie verfügt, um den Ausfall eines Lieferanten auszugleichen.

Taskforce sucht Notlösungen

Am Transportsektor ist die Situation ähnlich. Logistikspezialist Gebrüder Weiss hat mehrere Niederlassungen in China. Das Unternehmen installierte mit Mitarbeitern in China, Europa, USA und Asien eine unternehmensinterne Taskforce, die für diese Märkte Kapazitäten prüft und Transportlösungen sucht. „Auf jeden Fall ist bei den Transporten von und nach China mit Verzögerungen sowie Mehrkosten zu rechnen“, sagt Lothar Thoma, Mitglied der Geschäftsleitung. Probleme gebe es vor allem im Flugverkehr: Viele Airlines haben ihre Passagierflüge nach und von China gestrichen, die Kapazitätsverluste betragen rund 70 Prozent, Luftfrachtunternehmen fliegen nur noch mit eigenem Sonderflugplan oder gar nicht mehr, erzählt Thoma. In der Seefracht sind seiner Meinung nach die Auswirkungen bisher überschaubar. Eine Schließung des Hafens in Shanghai sei derzeit nicht vorgesehen. „Aber die Zustellung und Abholung in China ist problematisch, da viele Städte um Shanghai ohne Ankündigung geschlossen werden und die Lkw-Fahrer weder rein- noch raus- kommen. Der Fahrermangel erschwert die Situation weiter“ , erläutert Thoma. Mit dem eigenen internationalen Netzwerk sei es Gebrüder Weiss bis jetzt recht gut gelungen, für seine Kunden geeignete Transportlösungen zu finden. Auch mit der Transsibirischen Eisenbahn oder über die Route der ehemaligen Seidenstraße ließen sich Transporte von und nach Europa abwickeln. Aktuell sei allerdings schwer abschätzbar, wie sich die Lage weiter entwickeln wird.

Risikopläne für den Ernstfall

Für Kearney-Partner Strohmer zeigt sich in solchen Situationen, wie gut das Risikomanagement eines Unternehmens funktioniert. „Eigentlich sollte es nicht nur für große Ereignisse wie das Coronavirus, sondern für alle Störungen in der Lieferkette Risikopläne geben, die im Notfall nur live geschaltet werden müssen“, sagt er. Optimal sei der Einsatz digitaler Werkzeuge, um in Zeiten ohne Störungen Schwachstellen in der Supply Chain zu identifizieren. „Wir setzen hier Artificial Intelligence ein, um quasi einen digitalen Zwilling des gesamten Netzwerks mit allen Produktionsstätten und Lieferanten aufzubauen.“ Damit ließen sich alle denkbaren Störungen simulieren und Lösungen entwickeln. Der Aufwand lohne sich: Wer über das agilste Krisenmanagement verfüge und sich rasch die (noch) am Markt verfügbaren Kapazitäten sichere, habe einen eindeutigen Wettbewerbsvorteil, meint Strohmer.

AUF EINEN BLICK

Das weiter grassierende Coronavirus führt auch zu Produktions- und Lieferstörungen bei österreichischen Unternehmen mit Standorten in China. So musste etwa AT&S kurzzeitig eine seiner drei Produktionsstätten schließen, Hebespezialist Palfinger leidet unter den Reisebeschränkungen für seine Mitarbeiter. Das Logistikunternehmen Gebr. Weiss hat für seine chinesischen Niederlassungen eine eigene Taskforce installiert. Von den Transportbehinderungen besonders betroffen ist die Luftfracht, da viele Flüge gestrichen wurden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2020)

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