"Egmont" in Wien: Goethes Held ist ein Zweifler geworden

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„Egmont“ als Opernuraufführung im Theater an der Wien: Einhelliger Beifall für Josts düster dräuende Musik, Klimkes heutiges Libretto und eine starke Ensembleleistung unter Michael Boder mit Bo Skovhus und Maria Bengtsson.

Mein Engel, mein alles, mein Ich“: Mit der schwärmerischen Anrede aus Beethovens berühmtem Brief an seine „unsterbliche Geliebte“ beginnt dieser „Egmont“. Die Worte werden sich als literarisches Leitmotiv durch den kurzen Abend ziehen und auch szenische Echos hervorrufen – und natürlich denkt der Opernfreund dabei auch an den rettenden „Engel Leonore“, den Florestan in der finalen Fassung des „Fidelio“ im Kerker herbeifantasiert.

Wie dort fallen die Worte in tiefer Tristesse, die hier einem Schlachtfeld ähnelt. In grellem Licht hält der Herzog von Alba dem gefangenen Egmont die Pistole an die Schläfe – und im Dunkel ringsum vervielfacht sich diese Konfrontation von Bedrohern und Bedrohten. Egmonts gedanklicher Fluchtpunkt ist Clara, die in diesem Moment leidend an der Rampe kauert. Vier Statisten verlängern bald darauf Egmonts in ihre Richtung ausgestreckten Arm und überbrücken die Entfernung: Sie sind nicht allein, das Volk ist auf ihrer Seite. Daneben klafft zwischen Alba und seinem zweifelnden, zaudernden Sohn Ferdinand ein Nichts. Erst nach dieser Art von Prolog entfaltet sich die Handlung. Eineinhalb Stunden später, zum Finale, kehrt man zu dieser Szene zurück, ohne dass man wirklich sagen könnte, gerade eine große Rückblende erlebt zu haben. Denn nun hüllt Clara – ist sie tot? – Egmont schützend in ihre riesigen weißen Engelsflügel ein. Ferdinand entwindet dem Vater die Waffe: Richtet er sie auf Egmont oder Alba? Wird er schießen? Das Volk befreien oder die Tyrannei im Dienste des spanischen Throns unter der eigenen Fuchtel fortsetzen? Dieser neue „Egmont“ ist eine albtraumhafte Allegorie mit offenem Ausgang: Wo einst Goethes Held „einem ehrenvollen Tode“ entgegenschritt und „für die Freiheit“ starb, bleiben nun vor allem Fragezeichen: hinter Definition und Wert der Freiheit, der Dauer ihres Triumphs, hinter Heldenmut, Eigennutz und politischer Skrupellosigkeit, hinter der Gewalt.

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