Reportage

Zuwanderung: Was Deutschland von Österreich lernt

Susanne Raab im deutschen Ministerium für Inneres in Berlin bei Ressortchef Horst Seehofer. Er ist nicht nur Innen-, sondern auch Heimatminister.
Susanne Raab im deutschen Ministerium für Inneres in Berlin bei Ressortchef Horst Seehofer. Er ist nicht nur Innen-, sondern auch Heimatminister.(c) APA/BKA/ANDY WENZEL
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Wie geht das 83-Millionen-Einwohner-Land Deutschland mit Zuwanderung, Integration und Islamismus um? Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) hat sich in Berlin umgesehen.

Berlin. Wenn es um Parallelgesellschaften in Berlin gehe, sei meist von Gegenden wie Neukölln die Rede, „dabei gibt es die hier in Wedding auch“, sagt Ahmad Mansour, Integrations- und Islamismusexperte mit palästinensischen Wurzeln. Wedding liegt im ehemaligen Westteil der Stadt, Anis Amri, der Attentäter vom Breitscheidplatz, hat hier gelebt. Mansour geht die Prinzenallee entlang, begleitet von drei Beamten des Landeskriminalamts. Ohne Polizeischutz kann der deutsch-israelische Psychologe keine Auftritte in der Öffentlichkeit absolvieren. In islamistischen Kreisen gilt er als „Verräter“.

Kinder ohne Migrationshintergrund gebe es hier in den Kindergärten und Schulen kaum, sagt Mansour, der viel in diesen Schulen unterwegs ist. Ein Hauptthema immer wieder: das Kinderkopftuch. Mansour argumentiert dagegen, streitet auch mit den Schülern. Das Kopftuch sei ein Symbol der Unterdrückung, der Sexualisierung der Mädchen, meint Mansour, als er gerade an einer Fahrschule vorbeigeht. Zwei junge Mitarbeiterinnen, stark geschminkt, aber mit Kopftuch, stehen davor und erfreuen sich am Tross, der an ihnen vorbeizieht: „Wir sind im Fernsehen!“ Drinnen beim Fahrkurs sitzen lauter verschleierte Frauen, den Kurs gibt es auf Deutsch und Arabisch.

Mansour wird an diesem Dienstagvormittag von der österreichischen Integrationsministerin, Susanne Raab, begleitet, auch der ORF filmt mit. Sie sieht sich an, wie Deutschland, wie die Stadt Berlin mit dem Thema Zuwanderung, Integration und Islamismus umgeht. „Der politische Islam ist heute weitgehend unsichtbar, dezentral, aber sehr präsent über die diversen Vereine“, erklärt Mansour. Man, also die Politik, müsse sich daher auch genauer ansehen, mit welchen Vereinen und Islamverbänden man zusammenarbeite. Viele hätten eine versteckte Agenda.

Der Druck, der Einfluss in den Schulen von islamistischer Seite habe stetig zugenommen. Es gebe Schulen, die keinen Schwimmunterricht mehr veranstalten würden. Vor allem die Mädchen seien die Leidtragenden der Entwicklung. Die hiesige Gesellschaft müsse ihre Werte viel selbstbewusster verteidigen, fordert Mansour. Auch um diese Gesellschaft für verunsicherte Migranten attraktiv zu machen. Ahmad Mansour sieht auch eine „Bringschuld“ bei diesen. „Ich habe das auch selbst mitgemacht.“

Die Schüler und das Kopftuch

Wobei die Schüler in den Debatten, die er mit ihnen führe, viel offener seien als etwa die politische Öffentlichkeit, meint Mansour. Da würden das Kinderkopftuch, kulturell bedingte Gewalt, fehlende Gleichberechtigung kleingeredet. „Keiner will die Rechtsradikalen bedienen, daher wird versucht, das Thema zu vermeiden.“

Aber viele Deutsche, gerade auch jene, die selbst in der Integrationsarbeit tätig sind, würden Österreich als Vorbild sehen, denn dort würde das Thema Zuwanderung und Integration viel aktiver besprochen und angegangen.

Im Bundeskanzleramt trifft Susanne Raab danach auf ihre Amtskollegin Annette Widmann-Mauz (CDU). Und dann nebenan im Innenministerium auf Horst Seehofer (CSU). Beide Länder, Österreich und Deutschland, stünden für eine Integrationspolitik des Förderns und Forderns, betonen Seehofer und Raab danach. „Mit Blick auf die Zuwanderung der vergangenen Jahre kommt einer gelingenden Integration große Bedeutung zu“, so Seehofer. Diese sei aber keine Einbahnstraße. Wer die diesbezüglichen Angebote nicht annehme, müsse auch mit Sanktionen rechnen, ergänzt Raab.

Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 will Integration auch zu einem wesentlichen Thema machen. Österreich soll hier „Best-Practice-Modelle“ liefern – in Bezug auf Wertekurse, Deutschkurse und die Integration von Frauen.

Überhaupt, so scheint es, haben die Großen an diesem Tag letztlich mehr von den Kleinen erfahren und gelernt. Vor allem die Deutschkurse in Österreich, bundesweit durchgeführt, die Prüfung unter staatlicher Aufsicht, seien auf großes Interesses Seehofers gestoßen, erzählt Raab. Zudem hätten sich Seehofer und Widmann-Mauz auch sehr für die neue Regierung in Wien interessiert, dafür, wie denn die Zusammenarbeit mit den Grünen so laufe.

Raab hat aber auch etwas mitgenommen: Die Initiativen der Deutschen in der Bildungspolitik etwa – mit Quizfragen, um das Thema Integration spielerisch zu bearbeiten. Einig sei sie sich mit Widmann-Mauz auch gewesen, einen Schwerpunkt auf frühes Empowerment von Frauen zu legen, um von Kindheit an den Wert der Gleichberechtigung von Mann und Frau zu unterstützen.

Compliance-Hinweis: Die Kosten für die Reise nach Berlin wurden zu einem Teil vom Integrationsministerium im Bundeskanzleramt getragen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2020)

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