Die Redensart von den Computerviren ist längst viral geworden. Allerdings entstehen diese nicht von selbst.
Bei ihm haben sich die Lateinlehrer nicht durchgesetzt: Der Computervirus darf im Gegensatz zum biologischen Virus ganz volkstümlich den männlichen Artikel tragen. Er ist nur eine Metapher, allerdings auch im wörtlichen Sinn: Er wird übertragen, von Computer zu Computer. Wie ein biologisches Virus ist er auf das Betriebssystem eines Wirts angewiesen und verwendet dieses, um sich zu reproduzieren.
Allerdings entsteht er kaum von selbst, sondern wird mit Absicht von meist übel gesonnenen Menschen programmiert. Hier passt die Idee vom „Intelligent Design“, auf das die biologische Evolution laut Darwinismus nicht angewiesen ist. Diese beruht nur auf zufälliger Mutation und Selektion. Auch Computerviren können zwar ihre Gestalt von Generation zu Generation ändern (dann nennt man sie polymorph), doch diese Mutation ist nicht zufällig, sondern muss – zumindest derzeit noch – programmiert werden.
Streng genommen ist ein Computervirus also auch kein Mem. Dieses Kunstwort führte Richard Dawkins 1976 für kulturelle Inhalte ein, die sich wie Gene replizieren, also auch den Prinzipien Mutation und Selektion unterliegen. Allerdings ist auch bei den heute oft „Memes“ genannten Bilderwitzen, die sich im Internet verbreiten, eine Mutation selten zufällig (das wäre sie, wenn sie sozusagen nach dem Prinzip „Stille Post“ funktioniert), sondern von einem intelligenten Wesen gestaltet. Der Anglizismus, dass ein Mem respektive Meme „viral geht“, hat sich jedenfalls durchgesetzt – er ist selbst viral geworden. (tk)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.02.2020)