Energietechnologie

USA vor Wiedereinstieg in die Atomreaktor­forschung

ANDREW CABALLERO-REYNOLDS/AFP
  • Drucken

Die Frist für die Einreichung von Projekten über Versuchsreaktoren neuen Typs beim Energieministerium endet am Mittwoch. In Rede sind Thorium- sowie neue Brütermodelle. Auch Bill Gates mischt mit.

In den USA läuft die Renaissance der Atomkraft in neuer Form so richtig an: Nachdem das Energieministerium (DOE) zu Beginn dieses Monats ein Auskunftsersuchen an die Industrie zu neuen Konzepten und Preisen für zwei fortgeschrittene Versuchsreaktoren herausgegeben hatte, läuft die Einreichfrist für die Projekte in Kürze ab - nämlich am 26. Februar, dem Mittwoch.

Dies steht im Zusammenhang mit dem Nuclear Energy Leadership Act, der heuer im Kongress zur Abstimmung ansteht. Dieses Gesetz fordert die Fertigstellung von zwei Versuchsreaktoren bis Ende 2025 und von zwei bis fünf weiteren bis Ende 2035; es geht um einen Zehnjahres-Strategieplan, der binnen 180 Tagen ab Gesetzwerdung stehen soll; um Regelwerke für fortschrittliche nukleare Brennstoffe; und um den Abschluss von Langfrist-Lieferverträgen von Nuklearenergie aus fortschrittlichen Reaktoren durch das Verteidigungs- und das Heimatschutzministerium.

Die staatliche Finanzierung für die zwei Siegerteams beträgt im ersten Jahr je etwa 50 Millionen Dollar. Zwei bis fünf Bewerber werden gesamt 30 Millionen Dollar für Programme zur Risikominimierung erhalten. Mindestens die Hälfte der Gesamtkosten der Reaktoren neuen Typs müssen von nichtstaatlichen Quellen getragen werden, somit praktisch von den Antragstellern. Insgesamt avisiert man eine Gesamtsumme von etwa 400 Millionen Dollar als Anschubfinanzierung für das erste Jahr.

Bill Gates in einem großen Projekt-Team

Gute Chancen kann man der Kooperation zwischen dem Idaho National Laboratory, dem Pacific Northwest National Laboratory, Bill Gates „TerraPower", dem US-japanischen Konsortium GE Hitachi Nuclear Energy und dem Netzbetreiber Energy Nordwest einräumen, welche bereits im Jänner ihr Konzept der Öffentlichkeit vorgestellt hatten.

DOE

Zielsetzung sind Material-, Brennstoff und Komponententests für Kernreaktoren der nächsten Generation (Generation IV), die mit höheren Neutronenenergien und -Flüssen arbeiten als bisherige Reaktoren und somit auch die Elemente bzw. Isotope Thorium-232 und Uran-238 als Brennstoff verwenden können. Beide sind nur sehr schwach radioaktiv, mit Halbwertszeiten von vielen Milliarden Jahren, selbst eigentlich nicht spaltbar und daher zur Aufrechterhaltung einer Zerfallskettenreaktion ungeeignet. Wenn man diese Atome allerdings mit Neutronen beschießt, fangen sie sie im Kern ein und wandeln sich zu sehr rasch zerfallenden Thorium-233-Isotopen bzw. das Uran über Zwischenstufen zu leicht spaltbarem Plutonium-239.

Damit vergrößert sich einerseits die theoretisch verfügbare Menge an nuklearem Brennstoff für Kernreaktoren im Vergleich zu den bisher üblichen Reaktoren um das 500-Fache. Andererseits wird für die Grundfüllung solcher Reaktoren nur eine sehr geringe Menge wirklich radioaktiver Elemente (typischerweise Uran-235) als Zünder benötigt, denn die Masse der Füllung - Thorium oder Uran-238 - wandelt sich erst im Zuge der Kernreaktionen im Reaktor in den eigentlichen Brennstoff um. Der Reaktor erzeugt seinen Brennstoff also großteils selbst.

Flüssigsalzreaktoren und Brüter

Die betreffenden Reaktoren gehören zu den Typen Flüssigsalz- und Brutreaktoren. Zum ersteren Typ hier eine ausführliche Geschichte samt Funktionsweise, Pilotprojekten und der grundsätzlichen energetischen Ausgangslage. Flüssigsalzreaktoren sind auch einfacher konstruiert als konventionelle Druck- und Siedewasserreaktoren, haben einen höheren Wirkungsgrad, erzeugen viel weniger Abfall und sollen aus inheränt-physikalischen Gründen viel sicherer und stabiler sein. 

Die Forschungen an Flüssigsalzreaktoren wurden in den USA 1969 eingestellt. China arbeitet daran seit 2011. In Indonesien bahnt sich ein Pilotprojekt im Verbund mit den USA an - siehe den Link oben.

Der andere Reaktortyp gehört zur „Brüter"-Klasse, benannt aus dem Grund, weil auch er sich den eigentlichen Brennstoff selbst erbrütet. Allerdings entsteht dabei hochgiftiges Plutonium. Das kann natürlich erwünscht sein, weil man daraus neue Brennelemente für konventionelle Leichtwasser-AKW machen kann - oder weil es auch kernwaffentauglich ist. Letzteres ist natürlich ein wildes Politikum und eine andere Geschichte.  

In den USA wurde die Forschung an Brüter-Reaktoren 1994 eingestellt. China hingegen ist auch hier sowie bei weiteren Experimentaltypen aktiv. Die Russen haben mit ihrer BN-Reaktorserie (BN-350/600/800) fast 50 Jahre Betriebserfahrung mit Brütern. In Indien ist einer in Fertigstellung.

Der berühmt-berüchtige „Schnelle Brüter Kalkar"

In Europa hatten Frankreich, England und Deutschland Brüter-Experimente. Sie sind aber, wie auch in Japan, eingestellt worden.

Politisch und medial besonderer Wirbel wurde um das Projekt des „Schnellen Brüters Kalkar" gemacht. Das war ein Prototyp mit 300 Megawatt Leistung, dessen Bau 1973 in Kalkar nahe Kleve (Nordrhein-Westfalen) nahe der Grenze zu den Niederlanden begann. Nach jahrelangen Protesten aus Umweltschützer- und Friedensaktivistenkreisen und angesichts des AKW-Unfalls in Tschernobyl (UdSSR) wurde die - fertige - Anlage nie in Betrieb genommen und 1991 stillgelegt. Damit wurden nach heutigem Wert mehr als sechseinhalb Milliarden Euro Baukosten in den Sand gesetzt, die teuerste Industrieruine Deutschlands.

Niederländisches Staatsarchiv/Koen Suyk

>>> Link zum Projekt von Bill Gates, Hitachi und anderen

>>> Link zum Entwurf des Nuclear Energy Leadership Acts

----

*Martin Rosenkranz ist Fachmann für Luftfahrt-, Militär- und Technologiethemen und war Chefredakteur von www.airpower.at. 

Sein Text wurde ergänzt, redaktionell und optisch bearbeitet von Wolfgang Greber (Die Presse).

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.