Regierungskrise

Thüringen, jetzt wird es kompliziert

Archivbila aus dem Oktober 2009: Christina Lieberknecht wurde zur Ministerpräsidentin gewählt, hinter ihr der jetzige CDU-Landeschef in Thüringen Mike Mohring.
Archivbila aus dem Oktober 2009: Christina Lieberknecht wurde zur Ministerpräsidentin gewählt, hinter ihr der jetzige CDU-Landeschef in Thüringen Mike Mohring.imago images/Bild13
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Die Ex-CDU-Landeschefin Lieberknecht war auf Vorschlag der Linken als Übergangsregierungschefin ins Spiel gebracht worden. Die CDU stellte Bedingungen, um Neuwahlen zu verzögern. Lieberknecht verweigert nun und schlägt der CDU vor, Linke-Chef Ramelow zu wählen. Ein nächster Tabubruch für die CDU.

Die Lage im deutschen Bundesland Thüringen ist eine verfahrene. Die frisch gewählten Parteien schaffen es nicht, sich auf eine Mehrheit, eine Koalition, einen Ministerpräsidenten zu einigen. Wenn man von dem Aufsehen erregenden Ausrutscher Thomas Kemmenich absieht, dem von AfD, CDU und FDP gewählten Liberalen. Der Eklat (erstmals war die AfD für eine entscheidende Wahl Mehrheitsbeschafferin an der Seite der CDU) gipfelte sogar im Rückzug der Chefin der Bundes-CDU, Annegret Kramp-Karrenbauer.

Aber wie geht es in Thüringen weiter? Die CDU will Bodo Ramelow, den Ex-Ministerpräsidenten der Linkspartei, nicht wählen. Die CDU will auch einer Kurzzeit-Übergangsregierung unter ihrer eigenen Ex-Landeschefin Christine Liebknecht nicht zustimmen. Denn die CDU braucht Zeit. Sie ist in den Umfragen seit dem Eklat der Kemmenich-Wahl. Noch-Landes-CDU-Chef Mike Mohring verlangte von einer möglichen Lieberknecht-Regierung eine längere Amtszeit als die von Ramelow vorgeschlagenen 70 Tage und ein vollständiges Kabinett. Das wollte wiederum die 61-jährige Lieberknecht nicht.

Sie erklärte am Mittwoch, nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Grund seien die sehr unterschiedlichen Vorstellungen von Linken, Sozialdemokraten und Grünen sowie der Christdemokraten über den Zeitpunkt von Neuwahlen, sagte Lieberknecht am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur in Erfurt.

Sie habe über ihre Entscheidung sowohl den Ramelow als auch CDU-Vize Mario Voigt, der bald von Mohring übernehmen könnte, informiert. Bei den Verhandlungen zwischen Linken, SPD und Grünen sowie der CDU am Dienstag sei deutlich geworden sei, dass sich die Interessen beider Gruppen bezüglich schneller Neuwahlen "diametral gegenüberstehen", sagte Lieberknecht. "Der Gegensatz ist nicht auflösbar, auch wenn weiter über einen Kompromiss verhandelt wird." Sie nehme deshalb "ihren Namen aus der Debatte".

Lieberknecht empfiehlt Ramelow-Wahl

Sie sehe nun nur noch einen Weg: "Wer keine Neuwahlen will, muss Bodo Ramelow (Linke, Anm.) zu einer Mehrheit im Landtag verhelfen.“ Die CDU-Politikerin, die in Thüringen seit 1990 auch Ministerin, Landtagspräsidentin und Parteichefin war, forderte ihre Partei auf, eine "verlässliche parlamentarische Vereinbarung mit der Linken" zu schließen. Das sei ihrer Meinung nach der einzige Weg, um zu stabilen politischen Verhältnissen in Thüringen zu kommen. Linke, SPD und Grüne fehlen im Landtag vier Stimmen für eine eigene Mehrheit.

Lieberknecht warb damit indirekt für einen Tabubruch. Sie kenne den Unvereinbarkeitsbeschluss ihrer Partei, der eine Zusammenarbeit nicht nur mit der AfD, sondern auch mit der Linken ausschließt. Aber sie sehe auch, dass die reale politische Situation in Thüringen zu berücksichtigen sei.

Mohring bedauert Lieberknecht-Entscheidung

Der scheidende CDU-Landespartei- und Fraktionschef Mike Mohring bedauerte die Entscheidung Lieberknechts. Man habe am Dienstag gemeinsam mit ihr überlegt, wie ein guter Übergang geschaffen werden könne. "Wenn das jetzt nicht zusammenkommt, wäre das sehr bedauerlich, weil Frau Lieberknecht eine gute Kandidatin wäre, diesen Übergang gut zu moderieren", sagte Mohring.

Die Fraktionschefin der Linken im Thüringer Landtag, Susanne Hennig-Wellsow, sieht nach der Absage Lieberknechts nur noch zwei Optionen für einen Ausweg aus der Thüringer Regierungskrise. Entweder die CDU unterstütze jetzt Ramelow bei der Ministerpräsidentenwahl und anschließend mit einer Tolerierung seiner rot-rot-grünen Minderheitsregierung, oder die CDU mache den Weg für "schnelle Neuwahlen" und wieder stabile Mehrheiten in Thüringen frei, sagte Henning-Wellsow am Mittwoch in Erfurt.

Hennig-Wellsow sprach nach der Absage Lieberknechts von einem neuen "Tag in Absurdistan". Die frühere CDU-Ministerpräsidentin wäre nach eigenen Worten wie von Ramelow vorgeschlagen bereit gewesen, eine Übergangsregierung zu führen und Neuwahlen vorzubereiten. Zunichte machten diese Bereitschaft Bedingungen ihrer eigenen Partei CDU, die eine Verzögerung von Neuwahlen von bis zu einem Jahr bedeutet hätten.

SPD macht Druck auf CDU

Der Thüringer SPD-Chef Wolfgang Tiefensee lehnt den CDU-Vorschlag zur Lösung der Regierungskrise im Freistaat ab. Dieser sei "untauglich und absolut inakzeptabel", sagte Tiefensee am Mittwoch dem MDR. Die CDU müsse neue Ideen vorlegen. "Ich erwarte einfach, dass wir jetzt zügig zu Vorschlägen kommen, die sinnvoll sind und der politischen Situation angemessen sind." Die Gespräche zur Lösung der Regierungskrise sollen nach Angaben der CDU am Mittwoch fortgesetzt werden.

Ex-Ministerpräsident Ramelow von der Linken hatte vorgeschlagen, den Landtag rasch für eine Neuwahl aufzulösen und die CDU-Politikerin und Ex-Ministerpräsidentin Lieberknecht zur Chefin einer Rumpfregierung für den Übergang zu machen. Die CDU lehnte dies größtenteils ab. Sie forderte eine vollständig besetzte Regierung unter Lieberknecht und die Verabschiedung eines Landesbudget für 2021. Erst danach könne neu gewählt werden.

Tiefensee sagte laut MDR, mit ihrem Vorstoß zeige die CDU, dass sie noch nicht bereit sei, innerparteilich und öffentlich die Konsequenzen "aus ihrem skandalösen Verhalten" zur Ministerpräsidentenwahl zu ziehen. Die Linke habe im Oktober den Wahlsieg eingefahren und die CDU lege jetzt einen Vorschlag auf den Tisch, bei dem Ramelow nicht Ministerpräsident wäre und Rot-Rot-Grün keinen Platz am Kabinettstisch bekäme. Das sei "genau das, was die CDU die ganze Zeit gefordert hat, als ob sie der Wahlsieger gewesen wäre". Die SPD wolle so zügig wie möglich Neuwahlen. "Die Wählerinnen und Wähler haben am 27. Oktober unter ganz anderen Voraussetzungen abgestimmt und jetzt geht es darum, die Lage durch die Bürgerschaft neu zu bewerten."

(APA/dpa/AFP/Reuters/klepa)

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