Türkei

Fall Osman Kavala: Machtkampf um ein Gerichtsurteil

Der Freispruch und die erneute U-Haft des Unternehmers und Mäzens Osman Kavala wurden in der Türkei mit Interesse verfolgt.
Der Freispruch und die erneute U-Haft des Unternehmers und Mäzens Osman Kavala wurden in der Türkei mit Interesse verfolgt.APA/AFP/OZAN KOSE
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Der überraschende Freispruch und die erneute Verhaftung des Intellektuellen Kavala zeigen: Die Rivalitäten im Führungsapparat um Erdoğan werden zunehmend härter ausgetragen.

Istanbul. Eigentlich sollte der Kulturförderer und Intellektuelle Osman Kavala am Mittwoch den ersten Tag in Freiheit nach zweieinhalb Jahren Untersuchungshaft genießen. Stattdessen wurde er im Hauptquartier der türkischen Polizei als Terrorverdächtiger befragt. Nur wenige Stunden nach seinem Freispruch am Dienstag war Kavala wegen anderer Vorwürfe wieder festgenommen worden.

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Kavala, ein vermögender Geschäftsmann, hatte als angeblicher Finanzier der Gezi-Unruhen des Jahres 2013 vor Gericht gestanden. Das Gericht im Hochsicherheitsgefängnis in Silivri bei Istanbul sprach Kavala und acht Mitangeklagte jedoch von allen Vorwürfen frei. Unterstützer der türkischen Zivilgesellschaft und auch europäische Regierungen begrüßten die Entscheidung – erfuhren aber wenig später, dass Kavala wieder in Haft war, diesmal wegen des Vorwurfs, er sei am Putschversuch von 2016 beteiligt gewesen.

Präsident Recep Tayyip Erdoğan nutzte eine Rede vor der Parlamentsfraktion seiner Regierungspartei AKP am Mittwoch dazu, die Gezi-Unruhen wieder einmal als Putschversuch gegen seine Regierung hinzustellen. In- und ausländische Verschwörer seien damals am Werk gewesen, sagte er. Und: Der Hauptverantwortliche in der Türkei sei deshalb eingesperrt worden: „Dann haben sie gestern mit einem Manöver versucht, ihn freizubekommen.“

Hinter den Kulissen in Ankara ist die Lage jedoch komplizierter. In den Stunden vor Kavalas Freispruch hätten die zuständigen Richter in Silivri offenbar die Weisung bekommen, den Angeklagten freizusprechen, sagte der Oppositionspolitiker Garo Paylan. Die politische Überlegung dahinter lautete offenbar, neuen Ärger mit Europa zu verhindern: Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof hatte Kavalas Freilassung gefordert.

Anschließend wurde Kavala aber festgenommen, noch bevor er das Gefängnis verlassen konnte. Erdoğan habe sowohl beim Freispruch, als auch bei der neuen Festnahme den Ausschlag gegeben, sagte der Journalist Ruşen Çakır, einer der besten Kenner der AKP. Laut Paylan überzeugten Anhänger eines Normalisierungskurses innerhalb der AKP den Präsidenten zunächst von der Notwendigkeit einer Freilassung. Doch dann habe eine andere Gruppe den Präsidenten umgestimmt – und prompt sei Kavala wieder festgenommen worden.

Richter werden untersucht

Um Recht und Gesetz geht es bei Kavala jedenfalls nicht – da sind sich Çakır, Paylan und weitere Beobachter innerhalb und außerhalb der Türkei sicher. Erdoğan habe offen zugegeben, dass er die türkische Justiz lenke, kommentierte Kati Piri, eine frühere Türkei-Berichterstatterin des Europa-Parlamentes. Obwohl die Richter in Silivri sicher nicht ohne politische Rückendeckung den Freispruch für Kavala verkündeten, müssen sie nun mit Konsequenzen rechnen. Das Kontrollgremium der türkischen Justiz, der Rat der Richter und Staatsanwälte, ordnete am Mittwoch eine Untersuchung gegen das Richtergremium an.

Sollten Teile der türkischen Führung tatsächlich versucht haben, mit dem Fall Kavala in Europa Boden gut zu machen, dann sind sie damit gescheitert. Die deutsche Regierung, die Kavalas Freispruch begrüßt hatte, reagierte „bestürzt“ und verärgert auf die neue Festnahme. Ankara hingegen will offenbar nun erst einmal Zeit gewinnen. Am Mittwoch vertagte die türkische Justiz ein anderes Verfahren auf April. In dem Prozess sind elf Menschenrechtler angeklagt, darunter der frühere Chef der Türkei-Vertretung von Amnesty International, Taner Kılıç, sowie der Berliner Peter Steudtner. Ihnen wird vorgeworfen, bei einem Seminar auf einer Insel bei Istanbul ebenfalls einen Staatsstreich vorbereitet zu haben. Das am Mittwoch erwartete Urteil wurde nach einer stundenlangen Sitzung verschoben.

Dass sich die türkische Justiz so intensiv mit Putschvorwürfen gegen Mitglieder der Zivilgesellschaft befasst, liegt zum Teil an der Entschlossenheit der Regierung, jede Art von Widerspruch zu verfolgen. Zum Teil spielt aber auch Erdoğans Trauma eine Rolle. Er ist seit dem Putschversuch 2016 überzeugt, dass seine Feinde ständig an neuen Plänen für einen Umsturz arbeiten. Erst kürzlich verbreiteten sich neue Putschgerüchte, weil die US-Denkfabrik Rand von einer wachsenden Unzufriedenheit in den Reihen der türkischen Armee berichtet hatte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.02.2020)

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Kommentar

Auf zur nächsten Justizposse!

Es war durchaus bizarr: Bei einer Rede vor seiner Partei AKP sagte Präsident Recep Tayyip Erdoğan am Mittwoch: Die Justiz habe nun einmal entschieden, dass der Regierungskritiker Osman Kavala weiterhin in U-Haft bleibe, und diese Entscheidung müsse man hinnehmen.

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