Der türkische Präsident bat Merkel und Macron in Telefonaten um Hilfe in der umkämpften Provinz Idlib.
Istanbul. Wegen der eskalierenden Konfrontation zwischen dem Nato-Mitglied Türkei und Russland in der syrischen Provinz Idlib wendet sich Ankara wieder mehr dem Westen zu. In einem Telefonat mit der deutschen Bundeskanzlerin, Angela Merkel, und dem französischen Präsidenten, Emmanuel Macron, rief der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, zu „konkreter“ Hilfe gegen die „Aggression“ der syrischen Regierung in Idlib auf. Die humanitäre Krise müsse beendet werden.
Verteidigungsminister Hulusi Akar brachte die Stationierung von US-Patriot-Raketen an der türkischen Grenze zu Idlib ins Gespräch. Zuvor hatte Moskau den Druck auf Ankara erhöht. Die russische Führung warf der türkischen Armee erstmals vor, militante Gruppen in Idlib direkt zu unterstützen.
Bei neuen Luftangriffen in der Provinz waren am Donnerstag zwei türkische Soldaten gestorben. Dennoch bleibt die türkische Regierung bei ihrem Ziel, sich mit ihrer Militärpräsenz in der syrischen Provinz ein Mitspracherecht bei Entscheidungen über die Zukunft von Idlib und Syrien zu ertrotzen.
Obwohl die Türkei in Syrien die Gegner von Präsident Bashar al-Assad unterstützt und Russland der wichtigste Partner von Assad ist, hatten die beiden Mächte in den vergangenen Jahren ihre Differenzen ausgeblendet und kooperiert. Assads Angriff auf Idlib, die letzte Bastion der vorwiegend islamistischen Rebellen nach fast neun Jahren Krieg, hat die Gegensätze zwischen Türkei und Russland aber offen zutage treten lassen. Erdoğan hat seit Anfang Februar mehr als 5000 Soldaten und schwere Waffen nach Idlib geschickt, um Assads Offensive aufzuhalten und eine neue Massenflucht von Syrern in die Türkei zu verhindern.
Auf Kollisionskurs mit Moskau
Seitdem sind bei Gefechten mindestens 15 türkische Soldaten ums Leben gekommen. Zuletzt starteten die Rebellen mit türkischer Unterstützung einen Gegenangriff, um die strategisch wichtige Kleinstadt Sarakib zurückzuerobern. Russische Kampfflugzeuge bombardierten daraufhin die Rebellenverbände. Verteidigungsminister Akar betonte im Nachrichtensender CNN-Türk, sein Land wolle keinen Krieg mit Russland. Die Gefahr einer solchen Konfrontation wächst dennoch.
Erdoğan hat einen Angriff der türkischen Armee für den Fall angekündigt, dass sich die Regimetruppen bis Ende kommender Woche nicht aus Idlib zurückziehen.
Savaş Genç, Türkei-Experte an der Universität Heidelberg, sieht das türkisch-russische Bündnis in Syrien unter erheblichem Druck. Die Türkei sei sehr von Russland abhängig, sagte Genç der „Presse“. Um aus der Zwangslage herauszukommen, könnte die Türkei versuchen, sich nach Jahren der Krise wieder dem Westen anzunähern. „Erdoğan ist ein Pragmatiker“, sagte Genç: „Er kann heute mit Russland kooperieren und übermorgen wieder mit der Nato.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2020)