Kino

Der alte Mann und der Nebel

Eigentlich will sich Ingimundur (Ingvar Sigurdsson) gar nicht mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen. Er will nur Zeit mit seiner Enkelin verbringen.
Eigentlich will sich Ingimundur (Ingvar Sigurdsson) gar nicht mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen. Er will nur Zeit mit seiner Enkelin verbringen.(C) Polyfilm
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Hlynur Pálmason lässt in „Weißer weißer Tag“ seinen Helden schweigen – und dann explodieren. Ein atmosphärisch dichter, psychologisch etwas vorhersehbarer Film.

Mürrische alte Männer tragen in vielen Filmen zur Entfaltung einprägsamer Stimmungen bei. Schon im traditionellen US-Western hatte die Einsilbigkeit von John Wayne und ähnlich wortkargen Cowboys den Vorteil, dass Umgebungen und Atmosphären stärker zur Geltung kommen konnten. Auch in Hlynur Pálmasons neuem Film „Weißer weißer Tag“ bedingt die Schweigsamkeit des betagten Helden eine bessere Hörbarkeit von Geräuschen, eine andächtigere Betrachtung von Naturlandschaften und eine geschärftere Wahrnehmung von Witterungsbedingungen, als es in dialogreicheren Genres wie dem Krimi, der Komödie oder dem Kammerspiel möglich wäre.

In der isländischen Produktion hört man den Wind in zahlreichen Varianten pfeifen. Und darf die Bandbreite unterschiedlicher Nebelformationen bestaunen, die Ingimundur (gespielt vom stattlich gebauten Ingvar Sigurdsson aus „Von Pferden und Menschen“) auf seinen Autofahrten über die verlassene Landstraße seines dünn besiedelten Heimatdorfes in den erhabenen Bergen von Island durchquert. Aber dafür muss man mit einem knöchernen Kerl auskommen, der nach dem dramatischen Unfalltod seiner Gattin das abgedroschene Image des emotional unberührbaren Machertypen wahrt. Die zwei Jahre, die seit der Zäsur vergangen sind, werden in der Erzählung ausgeklammert – die Annahme, dass der suspendierte Polizeichef aufgrund zurückliegender Wutausbrüche in die Frühpension verbannt wurde und als Strafe einen Psychologen konsultieren muss, erschließt sich nur über Andeutungen und Wortfetzen.

Wie in einem Psychohorrorfilm

Mehr als eine Aufzählung einfacher Begriffe – Mann, Witwer, Großvater – geht ihm als Selbstbeschreibung nicht über die Lippen. Auf Fragen nach seinen Gefühlen reagiert er gereizt oder mit beschönigenden Phrasen. Eigentlich wolle er nur weiter an seinem renovierungsbedürftigen Gehöft werkeln und seine siebenjährige Enkelin um sich haben, lautet seine einzige etwas wortreichere Auskunft. Den Rest muss man sich eigenständig zusammenreimen.

Freilich bedarf es keines tiefenpsychologischen Scharfsinns, um zu erkennen, dass die unterschwelligen Aggressionen des ehemaligen Ordnungshüters eine Folge unterdrückter Trauer sind. Auch die spätere Pointe, dass seine emotionale Abwehrhaltung zu der von Freud behaupteten Wiederkehr des Verdrängten in monströser oder gespenstischer Gestalt führt, kommt nicht überraschend. Wie im Psychohorrorfilm erwacht das Ungeheuer in ihm, als er unversehens auf ein altes Videotape stößt, das seine verstorbene Frau mit einem anderen Verehrer zeigt. Das verklärte Bild, das er von seiner Ehe hatte, zerbröckelt – die Fassade des gezähmten Ex-Bullen ebenfalls. Enttäuschung, Eifersucht und Schuldgefühle münden in eine voraussehbare Entladung von Gewalt. Pálmason treibt sie aber nicht zum Exzess. Den letzten Schritt in den Abgrund lässt er Ingimundur nicht machen. Der Racheakt bleibt unvollendet.

Dafür kippt die vormals trockene Beschreibung des gereizten Hobbyhandwerkers überraschend in einen anderen Modus: Die Stimmung wird zuerst surreal, wenn man ihn auf der Flucht vor seinem verschont gelassenen Opfer durch einen stillgelegten Tunnel rennen sieht – und zuletzt fantastisch-melancholisch, als er unter Tränen von seiner Frau halluziniert. Schade ist nur, dass der Film mit dem Aufbruch seines emotionalen Schutzpanzers endet, statt schon früher diese Kurve zu nehmen. Zum Schluss bleibt für die Beschreibung seiner Wandlung vom verschlossenen Macho zum erinnernden Romantiker keine Zeit mehr. Man hätte vielleicht schon eher einen Zugang zu ihm finden können, wenn die ästhetisch unterkühlte Schilderung seines den Gefühlen entfremdeten Alltagslebens nicht vorher so viel Platz eingenommen hätte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2020)

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