Werk X

Der Missbrauch des bösen „Baal“

Der exzessive Dichter Baal wird von Michaela Bilgeri (und auch von Constanze Passin) gespielt.
Der exzessive Dichter Baal wird von Michaela Bilgeri (und auch von Constanze Passin) gespielt.(c) ALEX GOTTER
  • Drucken

Bertolt Brechts frühes Drama wird von Ali M. Abdullah vermurkst. Er verwandelt ein anarchisches Stück in nicht enden wollende Fadesse. Wenigstens die Songs sind schön.

Ali M. Abdullah, der künstlerische Leiter von Werk X, hat eine Idee gehabt: Wie wäre es, wenn man die männlichen Rollen in Bertolt Brechts hundert Jahre altem Drama „Baal“ mit Frauen in grauen Anzügen besetzt und die Frauenrollen mit Männern in bunten Fetzen? Das hätte doch was, oder? Dann würde selbst dem naiven Theaterkonsumenten klar, worum es dem kraftgenialischen jungen Dichter damals ging, am Ende des Ersten Weltkriegs.

Um Amoral in Zeiten der Anarchie? Um einen Supermacho, der wahllos arme Mädchen, ambitionierte Mitarbeiterinnen und eitle Damen der Gesellschaft flachlegt? Der durchaus Züge des nach Ruhm gierenden Dichters trägt? Möglich. Abdullah drückt dies aber viel modischer aus. Er setzt sich laut Programmtext in seiner Bearbeitung des Stoffs „mit der Rolle des Künstlers in der späten neoliberalen Gesellschaft auseinander und fragt nach der Totalität radikal-individualistischer Subjektivierung in der multioptionalen Welt der Gegenwart“.

So viel zur Theorie. In der Praxis aber gehen dieser zweieinhalb Stunden langen Aufführung bereits nach kurzer Zeit die Ideen aus. Bald ist die Luft draußen, wie sich bei der Premiere am Donnerstag im Kabelwerk in Meidling erwies. Nur in Spurenelementen wird die dichte Sprache Brechts vermittelt. Lieblos spulen vor allem die Männer (Christoph Griesser, Felix Krasser und Daniel Wagner) den Text ab oder brüllen ihn gar nur von Sinn befreit heraus. Wäre nicht die leicht verschnulzte musikalische Begleitung von Andreas Dauböck und hätten nicht Michaela Bilgeri und Constanze Passin zumindest starke Girlie-Gesangseinlagen und eine berührende Präsenz, vor allem beim Rezitieren von Gedichten: Man müsste einen total vermurksten Abend konstatieren. Doch abgesehen davon: Es grenzt beinahe an Kunst, ein solch anarchisches Stück in nicht enden wollende Fadesse zu verwandeln.

Ein müdes Spritzduell

Vielleicht liegt ein Teil des Misslingens auch daran, dass die Darsteller beinahe bis zum Ende Masken aufhaben (die Schauspielerinnen wechseln sich in der Darbietung des Baal ab und tragen dann einen Fettanzug). Nach und nach lähmt die Maskerade die Darstellung. Einspielungen vom Treiben hinter den Kulissen (das Bühnenbild von Renato Uz besteht aus Sofas, Mikrofonen und einer bald durchbrochenen Wand, auf die Videos projiziert werden) mindern ebenfalls das Unmittelbare. Vieles wirkt gestelzt. Ausgiebiges Trinken wird brav stilisiert. Man bedient sich bei Dutzenden Wasserflaschen aus Plastik, lässt sich auch zum müden Spritzduell hinreißen. Irgendwann tropft es auch im Hintergrund von oben herab (Baal stirbt ja im Regen). Selbst die Szenen, in denen gerammelt wird, wirken beiläufig. Da zieht sich zum Beispiel ein Darsteller, der eine Frau spielt, nackt aus und lässt sich von einer Darstellerin, die einen Mann spielt, in der ersten Reihe von hinten nehmen.

Was sagt uns Nachgeborenen also diese „radikal-individualistische Subjektivierung“ des Dichters? Richtig: Der böse Baal ist asozial und machtgeil. Vielleicht wird er sogar noch Nazi oder Kommunist. Heute wäre er wahrscheinlich ein Täter im Showgeschäft.

Vielleicht auch nur: Recht geschieht es diesem triebhaften Brecht, wenn man seine hitzige Poesie auf der Bühne vergewaltigt!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.02.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.