Culture Clash

„Zuvielisation“

Warum ist der Fasching bloß so alltäglich geworden? Da war doch einmal mehr dran als Krapfenessen und Baumeistern beim Tanzen in der Oper zuzuschauen.

Neulich im Pendlerzug, in der Bankreihe neben mir. Sie erzählt ihm, wie das in ihrer Jugend spannender war mit den Faschingsumzügen. Er: „Mit dem Fasching fange ich sowieso nichts an.“ Sie: „Aber da können sich wenigstens die Leute einmal im Jahr austoben.“ Er: „Die toben sich doch das ganze Jahr lang aus.“

Hat er Unrecht? Alles Besondere lebt vom Kontrast zum Nichtbesonderen. Und da tut sich das Über-die-Stränge-schlagen schwer in einer Kultur des Überflusses, in der „Zuvielisation“, wie es der Propst von St. Florian, Johannes Holzinger, kürzlich genannt hat. Ohne richtige Fastenzeit danach und ohne kargen Advent davor bleibt der Fasching konturlos. Wenn der Heringsschmaus bloß zwei Perioden der Völlerei verbindet, wird ein „Carne vale“ („Fleisch ade!“) obsolet.

Kein Wunder, wenn kein großer Enthusiasmus für die Organisation von Faschingsumzügen mehr aufkommt. Und wenn sie dann oft nur noch von den Unternehmern des Ortes getragen werden, die länger als andere an Traditionen festhalten, denn ein bisschen Umsatzsteigerung bringen sie ja doch. Selbst das Verkleiden hat nicht mehr dieselbe Faszination in einer Kultur, in der sich jeder jeden Tag selber neu erfinden darf und muss. Fasching ist immer und somit nichts Besonderes.

„Die Kirche hat den Rhythmus des Lebens bewahrt – Stunde für Stunde, Tag für Tag, Jahreszeit für Jahreszeit, Jahr für Jahr, Epoche für Epoche (. . .) Da ist der Jahreslauf, das Gehen der Sonne durch Sonnenwende und Tag-und-Nacht-Gleiche, das Kommen der Jahreszeiten, die Traurigkeit der Fastenzeit, die Freude von Ostern, das Wunder von Pfingsten, die Feuer des Johannistags, die Kerzen auf den Gräbern zu Allerseelen, der glitzernde Baum von Weihnachten. (. . .) Augustinus hat gesagt, dass Gott die Erde jeden Tag neu erschafft. Und für die lebende, fühlende Seele stimmt das. Jede Dämmerung ist der Sonnenaufgang über einem vollkommen neuen Universum, jedes Ostern entzündet die völlig neue Glorie einer neuen Welt, die sich in ganz neuer Blüte öffnet.“

Diese Worte von D. H. Lawrence aus dem Jahr 1929 – in Verteidigung seiner verbotenen „Lady Chatterley“ geschrieben – zeigen, dass man nicht fromm sein muss, um den Rhythmus von Innehalten und Jubeln, von Schenken und Beschenktwerden, von Vergehen und Neuerschaffung, von Säen und Ernten zu würdigen und im Kirchenjahr wiederzufinden. Und zu erkennen, wie kümmerlich der in der Zuvielisation verbliebene träge Rhythmus von an- und abschwellendem Konsum ist. Nur: Wie kommen wir da wieder heraus? Die Frühlingsdiät allein macht‘s jedenfalls noch nicht.

Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2020)

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