Untersuchungsbericht

Missbrauchsvorwüfe gegen Arche-Gründer Jean Vanier

Der verstorbene Arche-Gründer, hier auf einer Pressekonferenz in 2015 (Archivbild).
Der verstorbene Arche-Gründer, hier auf einer Pressekonferenz in 2015 (Archivbild).APA/AFP/JUSTIN TALLIS
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Die Leitung der christlichen Gemeinschaft distanziert sich von Vanier und kündigt Aufklärung an. Sie spricht vom „Gefühl, verraten worden zu sein“ und von einem gebrochenen Herzen.

"Erschüttert und tief betroffen" über die Missbrauchsvorwürfe gegen den verstorbenen Gründer der Arche-Gemeinschaft, Jean Vanier (1928-2019), hat sich Claus Michel, Leiter der Arche Deutschland und Österreich, geäußert, wie Kathpress meldet.

Die Arche ist ein weltweites Netzwerk von Gemeinschaften, in denen Menschen mit einer geistigen Behinderung und sie begleitende, nichtbehinderte Menschen ihr Leben miteinander teilen.

Die am Samstag in Paris veröffentlichten Erkenntnisse der von der internationalen Arche-Vereinigung in Auftrag gegebenen unabhängigen Untersuchung "zwingen uns, unsere Sichtweise auf Jean Vanier und die Gründungsgeschichte der Arche zu überdenken", erklärte Michel in einer Stellungnahme vom Samstag. Die Arche verurteile die "Taten, mit denen Jean Vanier offenbar viele Frauen tief verletzt hat".

Sechs Frauen betroffen

Aus den ausgewerteten Quellen und Zeugenaussagen gehe hervor, dass Arche-Gründer Vanier, ein Laie, offenbar "nicht nur früh von den Missbrauchstaten seines geistlichen Mentors, des Dominikanerpaters Thomas Philippe (1905-1993), gegenüber erwachsenen Frauen in geistlicher Begleitung gewusst, sondern auch selbst im Rahmen geistlicher Begleitung gegenüber erwachsenen Frauen sexuelle Übergriffe begangen" habe.

Bei den sechs betroffenen Frauen habe es sich nicht um Personen mit Behinderung gehandelt. Wie es seitens der Arche hieß, erkenne man den Schmerz dieser Frauen an und danke für ihren Mut, gegen Vanier ausgesagt zu haben.

Die Frauen hätten alle berichtet, dass Vanier die von ihm im Rahmen der geistlichen Begleitung initiierten sexuellen Beziehungen durchwegs "spirituell" oder "mystisch" begründet habe, heißt es in der Mitteilung. Die Zeuginnen erlebten demnach diese Beziehungen als manipulativ und als emotionalen Missbrauch.

Untersuchungen gegen Pater Philippe

Die Untersuchungen durch eine externe Organisation waren im vergangenen Juni eingeleitet worden, um Fälle geistlichen und sexuellen Missbrauchs durch Pater Philippe aufzuklären. Der Dominikaner war laut der Mitteilung der Arche bereits 1956 wegen seiner sexualmystischen Theorien von einem Kirchengericht verurteilt worden.

Ziel sei die "gründliche und unabhängige Aufarbeitung der Gründungsgeschichte der Arche" inklusive des Umfelds von Philippe, schrieb Michel. Auf Basis der Erkenntnisse sollten auch die internen Richtlinien und Verfahren zur Prävention von Missbrauch verbessert werden.

Man nehme den Schutz der Mitglieder vor geistlichem und sexuellem Missbrauch sehr ernst, betonte der für Deutschland und Österreich zuständige Arche-Leiter. Eine unabhängige Bewertung der Präventionsrichtlinien solle im Sommer abgeschlossen werden. Die Arche stehe "zu dem Leitprinzip, den einzigartigen Wert jeder Person anzuerkennen". Es gebe bisher keinerlei Hinweise, dass Philippe oder Vanier "vergleichbare Taten auch gegenüber Menschen mit Behinderungen verübt" hätten.

Heftige Reaktionen

Der Arche-Verantwortliche in Frankreich, Pierre Jacquand, sprach vom "Gefühl, verraten worden zu sein", und von einem gebrochenen Herzen. "Jean Vanier war mein Freund", zitiert ihn die Zeitung "La Croix" (Onlineausgabe Samstag); "er hat mir so viel Gutes getan, wie Tausenden anderen Menschen auch." Und doch habe er es "vorgezogen, uns anzulügen". Der Verantwortliche von Arche International, Stephan Posner, sagte: "Er hat ein ganzes Segment seines Lebens vor uns versteckt."

Entsetzte Reaktionen gab es am Samstag auch vom Vorsitzenden der Französischen Bischofskonferenz, Erzbischof Eric de Moulins-Beaufort von Reims. "Wie konnte Vanier im grässlichen Spiel von Pater Thomas Philippe mitspielen, ein Komplize werden und dabei diese verrückte Vermessenheit eines höheren mystischen Zustands beibehalten?", heißt es in einer Erklärung des Erzbischofs. Vanier habe unendlich viel für das Leben und die Akzeptanz von behinderten Menschen getan; "wie konnte er all das in seinem Leben vereinbaren?"

Die Arche wurde 1964 in Frankreich von Vanier, einem kanadischen Philosophiedozenten und ehemaligen Marine-Offizier, gegründet. Heute umfasst es eigenen Angaben zufolge 154 Gemeinschaften in 38 Ländern und auf allen Kontinenten, in Summe rund 10.000 Menschen mit und ohne geistigen Behinderungen. In Österreich vertreten ist die Arche mit einer Gemeinschaft im Tiroler Ort Steinach am Brenner.

Die Arche ist im katholischen Milieu entstanden, heute aber überkonfessionell und zum Teil auch interreligiös. In den Arche-Gemeinschaften in Deutschland und Österreich arbeiten und leben evangelische und katholische Christen zusammen mit Menschen ohne religiöses Bekenntnis.

(APA)

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