Gastkommentar

Wie das Klima auf unsere Gesundheit wirkt

(c) Peter Kufner
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Warum Budget und Klima von Energie und Gesundheit entschieden werden.

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Eine gravierende Wirtschaftskrise würde unsere Finanzen am meisten bedrohen. 2008 haben fehlende 3,5 Megabarrel (mB) – vier Prozent des täglichen Ölmarkts – gereicht, um den Ölpreis zu verfünffachen. Der US-Hauskreditnehmer hatte monatlich 150 US-Dollar Mehrausgaben für Benzin, Kredite konnten nicht bedient werden, die Blase platzte. Eine Blockade des Golfs von Hormus durch einen Iran-Krieg würde 20 mB täglich – 21 Prozent des Bedarfes – auf dem Ölmarkt fehlen lassen. Wachsende Abhängigkeit von Russland beim Gas und langfristig von islamisch geführten Staaten beim Öl macht uns zunehmend erpressbar.

Die OECD attestiert Österreich zwei fixe Budgetrisken: das Gesundheits- und das Pensionswesen. 40 Prozent der Menschen gehen gesundheitsbedingt vorzeitig in Pension. Wer mit dem Rad zur Arbeit fährt, beansprucht später die Pension, behält Radfahren für Alltagswege bei und ist statistisch kürzer pflegebedürftig. Gesünder bleibt man ohnehin: 46 Prozent weniger Herzkreislauf- und 45 Prozent weniger Krebserkrankungen sind mit keiner anderen Maßnahme zu erreichen.

Noch aber sinkt unser Bewegungsausmaß. Obwohl wir nicht mehr essen, sind wir bei gleicher Körpergröße seit 1985 im Schnitt um fünf Kilo schwerer geworden. Mehr als die Hälfte der Männer auf dem Land sind inzwischen übergewichtig – in keiner Gruppe hat Adipositas derart zugenommen: Die körperliche Arbeit wird weniger, das Pendeln nimmt die Zeit für Sport. Zusätzlich birgt Pendeln das Risiko von Depressionen, der laut WHO ab 2030 teuersten Erkrankung.

Teuer wird auch der Klimawandel, den das medizinische Leitjournal „The Lancet“ als „the biggest health threat of the 21th century“ bezeichnet. Er bietet vermutlich aber auch die größte Chance für Gesundheit. Wir brauchen um ein Drittel weniger zu heizen und können das mit Wärmepumpen schadstofffrei und effizienter tun als früher. Wir können ganzjährig in den Städten Rad fahren, Bewegung im Freien hat viele Benefits: Kälte unter + 17° C trainiert unseren Rachenring – die Abwehr des häufigsten Krankenstandsgrundes, den Atemwegsinfektionen. Sie fördert braunes Fett, das der Körper ohne Bewegung verheizen kann; es schützt vor Diabetes (fünf Milliarden Euro Kosten in Österreich pro Jahr) und lagert sich in der Wirbelsäule an.

Wir leben von einem Drittel

Bei unseren Nahrungsmitteln leben wir – pointiert gesagt – von einem Drittel. Vom weiteren Drittel lebt die Medizin; das Restliche werfen wir weg. Wir könnten durch höhere Achtsamkeit mit Ressourcen viel Fußabdruck sparen und unser Leben erleichtern. Braucht wirklich jeder alles, doppelt und dreifach? Ist es wirklich ein Verlust, nicht nur Freude und Leid, sondern auch Dinge zu teilen? Die Begrünung der Städte zur Milderung der Hitzephasen wird auch biopsychosoziale Effekte nach sich ziehen; zum Beispiel wissen wir, dass ein „Blick ins Grüne“ Spitalsaufenthalte um acht Prozent verkürzt.

Der Mensch ist biophil, ausgelegt auf eine grün-braune Umgebung, in der wir leistungsfähiger und entspannter sind als im grauen, weißen oder schwarzen Alltag. Die Innenräume, in denen wir inzwischen 95 Prozent unserer Zeit verbringen, sollten im Sommer nicht unterkühlt und im Winter nicht überheizt und damit trocken sein.

Dauerwinterzeit nutzt keinem

Bei Dauersommerzeit gehen zwei Millionen Österreicher mehr im Dunkeln zu Schule und Arbeit; die Zahl einer Viertelmillion von Lichtmangeldepressiven wird sich verdoppeln. Dauerwinterzeit – Sonne im Sommer ab vier Uhr in der Früh – nutzt auch niemandem.

Die Kollaborateure der fossilen Energien haben zunächst die Erderhitzung komplett geleugnet, später nur den menschlichen Einfluss. Nun versuchen sie, die Lösungen schlechtzumachen, wie zum Beispiel mit dem Argument, dass Windräder Schwefelhexafluorid SF6 enthalten und Lärm machen.

Beides wird aber durch Windräder weniger. Wind bringt den Winterstrom, den Wasser und Sonne nicht liefern. Nur so können wir elektrisch fahren, den Lärm aus Verbrennungsmotoren reduzieren und SF6-gefüllte Lärmschutzfenster vermeiden. Wir lassen unseren alten Technologien viel mehr durchgehen als den neuen.

Wir haben viel zu lang zugewartet mit dem Klimahandeln. Die Diagnose wurde von einem IPCC-Bericht zum nächsten immer nur genauer, aber nie geändert. Die Wissenschaft hat aus Vorsicht manche Effekte zu gering geschätzt, wie galoppierenden Eisverlust, steigende Meeresspiegel und Waldbrände weltweit zeigen. Im Unterschied zu anderen schweren Erkrankungen bieten die Therapie-Optionen aber viel Erfreuliches.

Wir gewinnen ein bis zwei Jahre Lebenserwartung dazu, wenn wir alle Verbrennungs-Luftschadstoffe beseitigen. Bis alles elektrisch betrieben wird, müssen Prioritäten gesetzt werden: Nur drei Prozent der Schäden entstehen durch Stickoxide, die große Mehrheit durch Dieselpartikel aus Schwerverkehr ohne Partikelfilter. Die neue Regierung will endlich auch nachrüsten, wie die Schweiz das 50.000-fach – auch zum Schutz der Wirtschaft vor Krankenständen – vollzogen hat.

Ruß und Methan sind zweitstärkste Klimawandeltreiber nach CO? und dramatisch schneller aus der Atmosphäre zu beseitigen. Ohne massive Reduktion dieser beiden Stoffe ist das 1,5-Grad-Ziel nicht zu schaffen. So wie eine CO?-Steuer werden viele Klimamaßnahmen bei Einberechnung der Gesundheitseffekte einen hohen Return on Investment bringen.

Zeit für die Umsetzung

Letztlich hat die ÖVP vor über 30 Jahren mit der ökosozialen Marktwirtschaft beschlossen, Ungesundes und die Umwelt Zerstörendes teurer, Gesundes und Umweltfreundliches billiger zu machen. Es ist endlich Zeit für die Umsetzung: Arbeitgeben und -nehmen sind viel zu teuer, Ressourcen zu verschwenden und Gesundheit zu zerstören viel zu subventioniert und billig.

Nichts ist mehr mit Glück verbunden, denn sich als gesund zu schätzen; der Unterschied zu Kranken beträgt 20 Prozent. Einen fixen Partner zu haben bringt zehn Prozent mehr Glück, im obersten Einkommenszehntel zu sein nur 3,5 Prozent mehr. Die Vision Wiederaufbau, wachsender Massenkonsum, Fortschritt und, „dass es den Kindern besser gehen soll“, scheint verloren und unrealistisch; neue Visionen können sinnstiftend sein.

Neuer Aufbruch

Wir sind mit jedem Atemzug Teil der Natur. Energiewende, Effizienz sowie Genügsamkeit und Teilen sind Erfolgsfaktoren für eine nachhaltige, resiliente Zukunft. Ein neuer Aufbruch kann jedem nutzen: Stellen wir unsere Funktionslust – dass wir uns gern bewegen, dass wir auf natürliche Reize reagieren, erfolgreich kooperieren – doch in den Dienst dieser größten Aufgabe der Menschheit. Packen wir jene Sustainable Development Goals an, in denen Österreich Nachzügler ist: bei der Energie, den Luftschadstoffen und beim Ressourcenverbrauch. Für unsere: Gesundheit!

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Der Autor

Dr. Heinz Fuchsig (*1967 in Wien) ist Arbeits- und Umweltmediziner und Umweltreferent der Österreichischen Ärztekammer. Er hat sein Gründerzeithaus dekarbonisiert und teilt mit zehn Mietparteien Garten, Werkstatt und Hybridauto (1/100 der Stickoxide eines Diesels, keine Partikel) und dadurch zunehmend Freundschaft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2020)

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