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Deichkind in Wien: "Party? Was fällt euch ein!"

Deichkind performten in der Stadthalle Freitagabend penibel choreografierte bizarre Tänze.
Deichkind performten in der Stadthalle Freitagabend penibel choreografierte bizarre Tänze. (c) APA/HANS PUNZ
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Sie sind die klügsten, pointiertesten Krawallmacher Deutschlands. Die Hamburger Hip-Hop-Techno-Formation Deichkind kam nach vier Jahren wieder in die Wiener Stadthalle.

Wien! Wien! Wien! Saturday Night Love Tsunami. Diesen Kraftakt von Tour schafft man nur mit Menschen, die uns wie die Irren anschreien.“ So fassten es Deichkind am Samstag um 00.14 Uhr auf ihrem Facebook-Account zusammen. Davor ließen sie es rasseln und pumpern, als gäbe es kein Morgen. Mehr als 23 Jahre sind sie jetzt schon auf Achse, und immer noch strotzen sie vor Kraft und anarchischem Humor. Wohl, weil es die Weltlage so fordert.

Selbige verlangt auch nach Lars Eidinger. Der 44-jährige Berliner Schauspieler, der so virtuos weint wie kaum jemand im zeitgenössischen deutschen Film, schluchzte schon in Yung Hurns Schnulzenschlagervideo „Diamant“ und in der Fernsehserie „Babylon Berlin“. Jüngst tat er es bei der Berlinale, wo ihm die Gemütslage einer „vergifteten Gesellschaft“ auf die Tränendrüsen drückte. Das Fach wechseln kann dieser Moses einer neuen, empfindsameren Männlichkeit eigentlich nur, wenn ihn Deichkind rufen. Die Politprollkombo engagierte ihn für den Intro-Film zur Show. Darin ein gefasster Eidinger, nackt wie Gott ihn schuf. Appetitlich auf weißem Papier. Ein Kran hob ihn hoch, tauchte ihn in einen mit blauer Flüssigkeit gefüllten Bottich und malte dann mit dem bewundernswert schlaff hängenden Mimen am Haken ein doch einigermaßen abstraktes Bild. Selbiges fungierte als Bühnenprospekt.

Protagonist ist stets das Kollektiv

Das ist standesgemäß für Deichkind, die bekanntlich Kunst, Politslogans und Lärmkultur zusammendenken. Protagonist ist stets das Kollektiv. Penibel choreografiert performte es bizarre Tänze. Die Kostüme schienen von der Müllhalde der Konsumgesellschaft zu kommen. Woher die Musik kam, war kein Rätsel. Sie quetschte sich aus der Konserve, vergrößerte und verzerrte sich, bis sie ins Ohr diffundierte.

Im von einem erbarmungslosen Technobeat angetriebenen Eröffnungslied, „Keine Party“, kokettierte die Kombo mit ihrer Wirkung. „Wir wollen keine Party. Was fällt euch eigentlich ein? Schluss mit Remmidemmi, das hört jetzt hier sofort auf.“ Selbstverständlich war genau das Gegenteil der Fall. Die Menschen, so heterogen sie auch aussahen, zappeln ähnlich diszipliniert ab wie die Akteure auf der Bühne. „Knallbonbon mach auf, mach bum bum“, hieß es dann in „Knallbonbon“, einem Song, in dem sich die Band in einen Fan einfühlt, der über die Band nachdenkt. „Das ist genau, was ich mag an Deichkind. Das ist genau das, was ich fühlen will. Das ist der Knallbonbon, Diggi.“ Tschüss, vierte Wand, und hallo zur Einswerdung von Künstler und Fan.

Ausgelassen deklinierten Deichkind in den folgenden zwei Stunden ihre größten und ihre geheimsten Hits. Von „Illegale Fans“ bis „Bon Voyage“, von „Leider geil“ bis „Arbeit nervt“, alles sorgte für größten Aufruhr. Ihre famose Firmenhymne „Bück dich hoch“ zuckerten sie mit einer Passage von Billie Eilishs „Bad Guy“ auf. Was für ein heimtückisches Manöver! Highlight waren das herrlich reduzierte Technojuwel „Oma gib Handtasche“ und natürlich „Wer sagt denn das“ mit Zeilen wie „Wer sagt denn das, dass sich das Internet eines Tages doch noch etabliert!“ Nicht auszudenken, was dann passieren könnte. Womöglich, dass es dann „Kein Bier für Nazis“ mehr gäbe, wie eine zu „Roll das Fass rein“ geschwungene Flagge verhieß. Der Jubel war jedenfalls groß.

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