Mein Montag

Lexikon der Politiksprache: Hausaufgaben machen

Wenn sprachliche Bilder aus der Schule auf die Politik umgelegt werden, muss das nicht gut gehen.

Frau Lehrer, ich weiß was!“ Ist Ihnen aufgefallen, dass eine Floskel aus der Schule zum Standardrepertoire der politischen Rhetorik gehört? Wenn nämlich die Rede davon ist, dass jemand seine Hausaufgaben gemacht hat, machen muss oder offenbar stattdessen etwas Besseres zu tun hatte. Dieser Jemand kann eine Partei sein, eine Institution, ein Land, seine Bevölkerung, ein bestimmter Teil davon oder eine konkrete Person. Es weckt jedenfalls Bilder. Vom reumütigen Blick mit gesenktem Kopf und dem kleinlauten „Hab ich vergessen“. Der schlechten Ausrede à la „Der Hund hat mein Heft gefressen“. Und dem Gesicht der Lehrerin, wie sie introvertiert den Kopf schüttelt und mit rotem Stift ein Minus einträgt. Wie auch immer, es schwingt immer ein Hauch von Demütigung mit. Und die zerstört all die positiven Gefühle, die man hatte, während man die Hausaufgabe eben nicht gemacht hat. Dann waren da immer wieder die bangen fünf Minuten vor Beginn der Stunde, in denen man noch schnell die Ergebnisse der Mathematikübung vom Nachbarn per analogem Copy-Paste ins eigene Heft brachte. Und das gespannte Warten, ob man bei der Stundenwiederholung womöglich das Beispiel an der Tafel nachrechnen muss.

Übertragen wir diese Bilder in die Welt der Politik. „Frau Lehrer, der hat von mir abgeschrieben!“ – „Ich hab das Hausübungsheft daheim liegen gelassen. Darf ich es nächste Stunde nachbringen?“ – „Wie, die Aufgabe war bis heute?“ Passt nicht so wirklich, oder? Nun, offenbar lässt sich nicht jedes sprachliche Bild aus dem Schulbetrieb auf die Welt der Politik umlegen. Sie wissen schon: „Ihr geht erst, wenn alles aufgeräumt ist! Und vergesst nicht, die Sessel auf die Tische zu stellen!“ Wobei, als Wähler kann man die Lehrerrhetorik per Stimmzettel durchaus anwenden: „Ich gebe dir die schlechtere Note, damit du dich ab jetzt mehr anstrengst!“

E-Mails an:erich.kocina@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2020)

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