Kommentar

Plácido Domingo war Teil eines Machtsystems

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Das reine Auftürmen öffentlicher Abrechnungen mit prominenten Tätern kann dem MeToo-Lernziel auch im Weg stehen.

Eine Ermittlung der US-Sängergewerkschaft hat nun also bestätigt, was Frauen bereits gegenüber Medien erklärt hatten: dass Plácido Domingo in seiner Karriere gegenüber Frauen oft zudringlich war, dass er ihnen körperlich zu nahe kam, sie zu küssen, ins Bett zu kriegen versuchte. Zwei Frauen hätten, heißt es, eingewilligt, mit ihm ins Bett zu gehen, weil sie Bedenken hatten, sie könnten sonst ihrer Karriere schaden. Damals war Domingo Operndirektor. Von „Machtmissbrauch“ ist im Untersuchungsbericht daher auch die Rede.

Doch war Domingo auch ein Mann, der seine Macht bewusst ausnutzte, um sich Frauen gefügig zu machen? Schadete er Frauen, die „nein“ sagten, drohte er damit? Davon ist bislang nichts bekannt. Sicher ist, dass er war, was man früher witzelnd einen „Schürzenjäger“ nannte; und dass er es als Operndirektor blieb – obwohl es in diesem „Spiel“, wie er es vielleicht sah, ein Machtgefälle gab. Gedankenlos nutzte er auch die Vorteile eines Systems.

Heute ist klar, auch in der Oper darf man niemandem einen Kuss rauben. Doch wenn man Domingo – der nun ausdrücklich die volle Verantwortung für alles Geschehene übernommen hat – nach heutigen Maßstäben richtet, dann bitte auch alle anderen rundherum, denen Domingos Zudringlichkeit ja wohlbekannt war: die Operndirektoren, auf deren Bühnen er sang, die Gewerkschaftsvertreter, Sänger und Sängerinnen, die Bühnenmitarbeiter und so weiter. Domingo war kein Diktator, er konnte seine Gepflogenheiten als selbstverständlich betrachten, weil es so viele rundherum auch taten.

Ein Machtsystem funktioniert, weil unzählige Rädchen ineinander greifen (bis hin zu Bequemlichkeit, vorauseilender Gefügigkeit und Mangel an Courage). Wo man sich ansieht, wie genau sie alle ineinandergreifen – dort beginnt man, aus der Geschichte zu lernen. Das heißt aber auch, wir müssen das Geschehene bis zu einem gewissen Grad historisieren, wir müssen in die Vergangenheit eintauchen, wir müssen auch die Perspektive der Vor-MeToo-Zeiten sehen.

Das tun wir nicht gern, weil es nach Relativierung riecht. Doch das Auftürmen öffentlicher Abrechnungen mit (prominenten) „Tätern“ – abgesehen von ausgesprochenen Übeltätern – kann dem Lernen auch im Weg stehen. Abgesehen von einer Selbstverständlichkeit, die in der MeToo-Bewegung zu oft vergessen wurde: Ein Exempel zu statuieren, ist per se ungerecht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2020)

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