Migration

Generalstreik auf griechischen Inseln gegen Bau neuer Migrantenlager

APA/AFP/ARIS MESSINIS
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„Wir wollen unsere Inseln zurück": Tausende Bürger demonstrieren gegen weiter wachsende Migrantenmassen auf Ägäis-Inseln wie Chios und Lesbos. Österreichischer Migrationsforscher ortet extremes EU-Krisenjahr 2020 wegen der Migration sowie Möglichkeit eines Endes der UN-Flüchtlingskonvention in ihrer heutigen Form.

Aus Protest gegen den Bau neuer Lager für Migranten sind am Mittwoch alle Regional- und Kommunalbehörden sowie die meisten Geschäfte auf den griechischen Ägäis-Inseln Lesbos, Chios und Samos geschlossen worden. Die Streiks stehen unter dem Motto "Wir wollen unsere Inseln zurück", wie das Staatsfernsehen (ERT) berichtete.

"Die Inseln dürfen nicht mehr Lager verlorener Seelen sein", hieß es. Zu den Streiks haben die örtlichen Gewerkschaften, Gemeinden sowie der Verband der Staatsbediensteten (ADEDY) aufgerufen. Am Vortag war es auf Lesbos und Chios zu Zusammenstößen zwischen Bürgern und der Polizei gekommen. Die Beamten setzten Pfefferspray, Tränengas und Schlagstöcke ein, um Straßensperren von Einwohnern zu beenden, die versuchten, den Bau der neuen Lager zu verhindern.

Die Inselbewohner fordern, dass die vorhandenen Lager geschlossen und keine neuen gebaut werden. Alle Migranten sollten nach ihrer Registrierung rasch zum Festland gebracht werden. Aktuell kommen Dutzende Menschen pro Tag aus der Türkei an, wo offenbar kaum noch ernsthafte Versuche gemacht werden, die illegale Migration zu stoppen. Das Migrationsabkommen zwischen der Türkei und der EU vom März 2016, demzufolge die Türken unter anderem verpflichtet sind, die illegalen Überfahrten in der Ägäis von ihrem Gebiet aus einzudämmen, erweist sich, wie schon lange befürchtet, damit als Makulatur.

Mehr als 42.000 Menschen gestrandet

In und um die Registrierlager auf Inseln der Ostägäis harren inzwischen knapp 42.000 Menschen aus. Zum Vergleich: Auf Lesbos leben etwa 80.000 bis 90.000 Einwohner, auf Chios etwa 55.000, auf Samos 35.000

Die Camps können eigentlich nur rund 8000 Menschen aufnehmen, weshalb das Gros der Menschen, die eigentlich nach Mittel- und Westeuropa wollen, ringsum in der Gegend im Freien lagert. Die Regierung der bürgerlichen Partei Nea Dimokratia (ND) unter Regierungschef Kyriakos Mitsotakis hat angesichts dieser Zustände das Asylverfahren beschleunigt und will neue Registrier- und Abschiebelager öffnen, was aber eben vor Ort bekämpft wird.

REUTERS

Eine drohende Neuauflage der Migrationskrise ("Völkerwanderung") von 2015/2016 könnte unterdessen noch heuer zur bisher größten Krise der EU werden und sogar ein Ende der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 bewirken. Das meint jedenfalls der österreichische Migrationsexperte Gerald Knaus.

„2020 entscheidendes Jahr" in Migrationspolitik

Bei einer Podiumsdebatte des International Institute for Peace und des Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation am Dienstagabend in Wien sagte Knaus, 2020 werde „ein entscheidendes Jahr" in Sachen Migrationspolitik. Die angespannte Lage in den griechischen Flüchtlingslagern sei unhaltbar, Griechenland könne die Asylverfahren und Migrationswelle nicht mehr alleine schaffen. 

Knaus, ein Soziologe aus dem Land Salzburg, Mitbegründer von Think Tanks, Mitarbeiter in NGOs, UN-Einrichtungen und Universitäten, war einer der Hauptinitiatoren des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens gewesen. Allerdings hatte er bereits im Herbst 2016, ein halbes Jahr nach Abschluss des Vertrags, auf dessen schleppende Umsetzung  hingewiesen und gewarnt, dass Griechenland zur dauerhaften Verwahrungsstelle für zehntausende Asylbewerber werden könnte.

"Es ist klar, dass man die Asylanträge nicht alle auf den Inseln bearbeiten kann", so Knaus bei der Veranstaltung. Er sprach sich für weitere EU-Hilfe für Griechenland, aber auch für die Türkei aus. Derzeit leben rund 3,5 Millionen Syrer in der Türkei. Die Unterstützung für Ankara müsse fortgesetzt werden, denn die Türkei stehe unter "enormem Druck", der angesichts der Lage in der syrischen Region Idlib noch zunehmen könnte.

Wenig optimistisch zeigte sich Knaus zur Zukunft der Genfer Flüchtlingskonvention. Sollten moderate Politiker in den EU-Ländern keine Ideen gegen die erstarkenden rechtsgerichteten, oft migrationsfeindlichen Parteien präsentieren, "wird das das Ende der Flüchtlingskonvention sein".

Zudem wollen auch weite Teile der politischen Mitte und sogar Teile des linken Spektrums eine strengere Asyl- und Zuwanderungspolitik; die Zeiten von „No borders!" sind jedenfalls vorbei.

(APA/DPA/red.)

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