Wohntrends

Lagom mit Mies van der Rohe

Wasserfest. Tapete „Achillea Aurora“ von Little Greene entführt in die Welt unter Wasser.
Wasserfest. Tapete „Achillea Aurora“ von Little Greene entführt in die Welt unter Wasser.(c) Beigestellt
  • Drucken

Die neuen Trends rücken Work-Life-Balance und die Natur (noch mehr) in den Fokus. Und konzentrieren sich dabei aufs Wesentliche.

Zurück zur Natur, zurück zum Wesentlichen, zurück zum Glück. Die Forderungen nach Inhalt, ökologischer Beständigkeit und Funktionalität spiegeln sich auch in den Wohntrends wider. Zu den wichtigsten Interieur-zutaten der Designer gehören natürliche Materialien, Motive aus der Natur und das Bekenntnis zur Nachhaltigkeit. Neue Technologien und Produktionsverfahren verändern den Umgang mit Materialien und Ressourcen radikal, das Recycling, das Nachleben von Produkten wird erstmals, oder vielmehr endlich, schon bei der Herstellung mitgedacht.
Dass aus dem Bedürfnis nach Erdung, Umkehr und reflektiertem Konsum Schönes entsteht, ist mitunter auch einem neu definierten Minimalismus zu verdanken. Er hat sich vom Postulat der Schnörkellosigkeit weg- und hin zur Freude an der (Ressourcen-)Sparsamkeit entwickelt. Ganz und gar nicht sparsam erweist er sich dabei in seiner Multifunktionalität, mit der Designer die Reduziertheit ihrer Stücke clever parieren. Diese lassen sich im Handumdrehen vom Beistelltisch zum Nachtkästchen, vom Esstisch zum Homeoffice, vom Alkoven zur Garderobe umfunktionieren.

Verwunschen. Fantasieanregende Tapete „Ovidio“ von Wallpepper. Design: Barbara Mancini.
Verwunschen. Fantasieanregende Tapete „Ovidio“ von Wallpepper. Design: Barbara Mancini.(c) Beigestellt

Die Natur der Sache. In den neuen Badezimmern, Wohnzimmern, Offices haben natürliche Farben, frisches Grün und Zurückhaltung in der Form als bewusste Entscheidung Einzug gehalten. Dafür wuchern und wachsen Blüten, Blätter, Hölzer umso überbordender auf Möbeln, Stoffen, Wänden. Diese Designs dürfen ruhig auch als von der Fridays-for-Fu­ture-Bewegung inspiriert gelten und an den wichtigen Sinneswandel erinnern. Sie entführen in mystische Wälder, überziehen Pölster mit legendären Landschaften, lassen Badezimmer zu fantasievollen Unterwasser­welten werden. Durchaus opulent dürfen die grünen und blühenden Dekorationen sein. Schließlich kann man, muss es aber nicht, wie die Natur selbst in ihrer üppigen Pracht, hier mit Freude übertreiben.

Verknüpft. Sofakissen „Knot“ von Design House Stockholm.
Verknüpft. Sofakissen „Knot“ von Design House Stockholm.(c) Beigestellt

Lagom ist das neue Hygge. Herunterkommen, durch­atmen, den Moment genießen ist nicht nur ein Trend, sondern als Work-Life-Balance vor allem eine Lebenseinstellung. Die Ersten, die das nicht nur erfasst, sondern auch danach gehandelt haben, waren die Skandinavier – fast so, als hätten sie Work-Life-Balance erfunden. Nicht nur in der Interieursprache heißt das in Dänemark bekanntlich „hygge“, aber die Schweden sind mit „lagom“ nachgezogen. Während man in Dänemark hyggt, also sich selbst etwas Gutes tut, freut man sich in Schweden, wenn etwas lagom ist, also gerade richtig. Eine direkte Übersetzung ins Deutsche gibt es dafür nicht, eine entsprechende österreichische Wortschöpfung für hygge, lagome oder gäbige (in der Schweiz) Seinszustände ist also noch ausständig.Die unprätentiöse Art, mit der es Skandinavier verstehen, es sich mit wenigen Dingen so gemütlich wie möglich zu machen, ist besonders und lang schon das Geheimnis des Erfolgs nordischen Designs. Sie schaffen es, mit minimalistisch anmutenden Möbelstücken, die meist durch Handwerkskunst brillieren und mit wenigen Elementen auskommen, einladende Gemütlichkeit zu erzeugen. Ziemlich sicher liegt das auch an der Ruhe, die dieses Design ausstrahlt. Aus dem Vollen zu schöpfen und dennoch bescheiden zu bleiben – viele skandinavische Designklassiker wurden mit diesem Grundsatz weltberühmt. Und die jungen Designs tun es ihnen gleich, ganz egal, wo im Raum: Ihre für das stilsichere Auge dennoch immer spannende Unaufgeregtheit bringt tatsächlich mehr Ruhe in das Geschehen.

Verlegt. Bodenbelag „Now Tiles“ von Bolon mit Kupfer, ­Titanium, Silber.
Verlegt. Bodenbelag „Now Tiles“ von Bolon mit Kupfer, ­Titanium, Silber.(c) Beigestellt

Weniger ist mehr. Ein Phänomen, das sich immer mehr zum Trend entwickelt hat, ist der neue Berufsstand der Aufräumcoaches. Nicht die guten Geister, die einmal in der Woche zum Saubermachen kommen, sondern jene Profis, die Konsumopfern beim Ordnen und Ausmisten helfen. Und da gibt es offenbar ziemlich viel zu tun. Auf die wachsenden Einwohnerzahlen in den Städten, die schon jetzt ankündigen, dass alle ein bisschen mehr zusammenrücken werden müssen, reagiert auch die Möbelindustrie und setzt auf weniger Opulenz. Zierlichkeit wird zum neuen Schönheitsideal, das sich bei sämtlichen Möbelgattungen bemerkbar macht. Frei von unnötigem Schnickschnack, einladend kompakt statt ausladend groß heißt die Devise, mit der man sich auf das Wesentliche konzentriert. Ein Möbel nicht mehr, aber dafür darf sich das Gefühl umso stärker ausbreiten, mit den neuen Designideen ganz flexibel und locker umgehen zu können: Sie lassen sich gestalterisch vielseitig einsetzen. Anstatt Räume zu dominieren, setzen sie lieber interessante Akzente. Sie lassen Flexibilität zu, schaffen Spielraum für die häufige Umgestaltung, weil sie sich fantasievoll immer wieder neu kombinieren lassen. Ihre raffinierte Kompaktheit ist anregend. Ihre Form folgt wieder verstärkt der Funktion, die den Ballast der Superlative hinter sich lässt und mit dem Sinn für das Wesentliche glänzt: bei Sitznischen statt Sofalandschaften, bei multifunktionalen Möbeln oder auch bei Bewährtem, das in frischer Herangehensweise ganz neu interpretiert wird.

Rundlich. Drehbarer Beistelltisch „Richer“ von Minotti aus Aluminium und Holz.
Rundlich. Drehbarer Beistelltisch „Richer“ von Minotti aus Aluminium und Holz.(c) Beigestellt



Die Nachhaltigkeit und der Bewusstseinswandel beim Konsum haben eine ganze Branche zum Umdenken bewegt. Mit weniger glücklich sein zu können bedeutet keineswegs Verzicht auf Komfort, Qualität und gutes Design. Im Gegenteil, es ist sogar eine bewusste Entscheidung für all das. Denn schon Mies van der Rohe wusste, „weniger ist mehr“, und wenn er nicht schon ein berühmter, bis heute wegweisender Architekt geworden wäre, so hätte er ganz sicher auch einen ziemlich guten Aufräumcoach abgegeben. Und wir sollten uns an seine Maxime halten.

("Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 28.02.2020)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.