Tischdesign

Die Plattform des Lebens

Hölzern. Gudmundur Ludvik entwarf für den Hersteller Arco den „Essential Wood“.
Hölzern. Gudmundur Ludvik entwarf für den Hersteller Arco den „Essential Wood“.(c) Beigestellt
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Der Tisch ist der kommunikative Knotenpunkt des Alltags. Und das inszenieren manche Möbel überdeutlich.

Man braucht manchmal gute Gründe, um wieder einmal zusammenzukommen in der Gruppe. Man sagt sogar, dass Menschen erst begannen, Gemeinschaften zu bilden, als sie merkten, dass man zusammen auf die Dauer einfach weniger Hunger hat. Seitdem ist die Versammlung rund um das Feuer und danach rund um die Stelle, wo das Gebratene serviert und verzehrt wird, zum Höhepunkt des sozialen Lebens geworden.

Und vor allem der Tisch hat sich in den letzten Jahrhunderten zur wichtigsten Plattform dafür entwickelt. Auf ihm wird so einiges ausverhandelt: Wer dazugehört zur Runde – nämlich nur die, die auch die Nahrung kriegen. Wie man miteinander redet, auch das wird am Tisch mitdefiniert. Und ganz generell: was Familie, Freundschaft und gemeinsames Essen überhaupt bedeuten.

Abstammung. Deutlich ­spürbare Herkunft: Team 7 holt die Natur auf die Tischfläche.
Abstammung. Deutlich ­spürbare Herkunft: Team 7 holt die Natur auf die Tischfläche.(c) Beigestellt

Zentrale Stellung. In aktuellen Wohnkonzepten nehmen – trotz des allgemeinen Hangs zur Reduktion – Tische extraviel Raum ein. Schließlich wird an ihnen mehr als nur Nahrung und Getränke verteilt. Dort wandern auch Informationen, Neuigkeiten und kommunikative soziale Signale von einem zum anderen. Die deutsche Linguistin Angelika Linke hat sich etwa auch mit den „Tischgesprächen“ beschäftigt und festgestellt, dass es da ziemlich geordnet und rituell zugeht.
Nicht nur bei der Abhandlung der Essensreihenfolge, sondern auch bei den Themen. Jorre van Ast, Designer und inzwischen auch Geschäftsführer von Arco, einem Unternehmen, das hauptsächlich Tische produziert, meint: „Tische nehmen in unserer Gesellschaft eine zentrale Stellung ein, dort unterhalten wir uns, treffen wir uns, arbeiten wir und feiern Feste.“ Schon lang beschäftigt sich van Ast mit Tischen, nicht nur weil er hineingeboren wurde in ein Familien-Holzunternehmen, sondern auch in eine regelrechte „Tisch-Kultur“.

Eingekeilt. „Wedge“ steht schwer auf leichten Füßen: Nendo entwarf den Tisch für Minotti.
Eingekeilt. „Wedge“ steht schwer auf leichten Füßen: Nendo entwarf den Tisch für Minotti.(c) Beigestellt

Nutzungsfrage. Im Verlauf des 17. Jahrhunderts ist der deutsche Terminus „Esstisch“ wahrscheinlich zum ersten Mal aufgetaucht. Denn damals musste sich die Bezeichnung allmählich gegen andere Nutzungsarten des Tisches behaupten. Schließlich gab es ja auch noch den Teetisch, den Spieltisch, den Nähtisch, den Putztisch. Da musste man schon genauer definieren, um welchen Tisch es sich nun handelte, wenn man von einem sprach. Heute unterscheidet man dagegen nicht mehr so sehr. Tische können für alles herhalten. Vor allem die extralangen und -großen, die sich verwandeln mit ihren Aufgaben, je nachdem, wie man sie füllt und bestückt, mit welchen Inhalten man sie belädt. Hauptsache, der Tisch erledigt seine Grundaufgabe: das Bilden von Gemeinschaft.

Grund genug also für Designer und Möbelhersteller, die kommunikative Plattform in analoger, haptischer Form zu zelebrieren. Manche machen dabei aus Tischen fast Skulpturen, unterstreichen ihre Präsenz, indem sie zum Beispiel die Beine betonen. Ein gestalterischer Weg, den das japanische Designstudio Nendo für den Tisch „Wedge“ von Minotti wählte. Die Schwere und die Leichtigkeit visuell gleichzeitig abzuhandeln, das bildete den paradoxen Ansatz: Durch die Schrägschnitte ver­feinern sich die Beine dem Boden zu, ent­lasten die gewichtige Gesamterscheinung und tragen doch die gestalterische Hauptlast. Denn die Platte darauf, die kann man wählen, je nachdem, welche Gemeinschaft sich dort verorten soll.

Angeeckt. „Jupiter“ hält die Säulen hoch:  Tische schaffen Gemeinschaft.  Wie bei Baxter.
Angeeckt. „Jupiter“ hält die Säulen hoch: Tische schaffen Gemeinschaft. Wie bei Baxter.(c) Beigestellt



Natürlich kann man auch die Bedeutung hervorheben, indem man das visuelle Gewicht noch einmal herausstreicht: So wie es der Hersteller Baxter mit dem Modell „Jupiter“ macht. Schon die zylindrischen Beine aus Zement wirken wie Säulen. Und das auch metaphorisch für das, was sie eben tragen: die sozialen Beziehungen, die man an der Oberfläche gemeinsam vielleicht mit dem kulinarischen Genuss pflegt.

Ursprünglich. Die archetypische Zusammenkunft aufgrund elementarer Bedürfnisse – vulgo Hunger – lässt sich im Design auch besonders mit einem Material beschwören: Holz. Vor allem, wenn es den Benutzer und Betrachter seine Urwüchsigkeit deutlich spüren lässt. Wie etwa der Tisch „Echtzeit“ des österreichischen Herstellers Team 7. Dabei bilden zwei Teile, jeder als Ganzes aus dem Baumstamm geschnitten, die Plattform. Das versetzt die Menschen am Tisch ein wenig in diese Ahnung der Ursprünglichkeit der Nahrungsaufnahme. Aber auch in die Stimmung des Waldes: Die Oberfläche ist gebürstet, damit die Natürlichkeit nicht nur Andeutung bleibt, sondern klare haptische Realität.

("Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 28.02.2020)

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