Sitzmöbel

Die Summe seiner Teile

Elementar. Das Berliner Label Ambivalenz stellte zuletzt das modulare Sofasystem „Curt“ vor.
Elementar. Das Berliner Label Ambivalenz stellte zuletzt das modulare Sofasystem „Curt“ vor. (c) Beigestellt
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Ein Sofa muss man nicht als Ganzes sehen: Konzepte modularer Sitzmöbel konfigurieren den Raum immer wieder neu.

Auch das Wohnen hat Mütter und Väter. Vor allem jene Konzepte, die bis heute viele Nachfolgegenerationen beeinflusst haben. Wie die Idee des modularen Sofas etwa. Der Amerikaner Harvey Probber gilt als ihr gedanklicher Erzeuger. Er selbst war Designer, aber auch Hersteller seiner eigenen Möbel, das erste Sofa soll er schon mit 16 Jahren entworfen haben, sagt zumindest die Legende. Als er den Einfall hatte, das Sofa nicht als Ganzes, sondern als Summe seiner Teile zu sehen, war er dann schon 20. Und noch immer früh genug dran, vor allem innerhalb des Jahrhunderts, mit einer revolutionären Idee: Sitzmöbel sollten sich letztendlich erst durch die Kombination einzelner Elemente konfigurieren. Ein innovativer Ansatz, dem zurzeit auch in einer Ausstellung an der New York School of Design Aufmerksamkeit gewidmet wird: „Making Connections. Harvey Probber Furniture, 1945 to 1985“ heißt die Schau, die Skizzen, Bilder und Modelle von Möbeln zeigt – eines Designers, der im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts in den USA ähnlich renommiert war wie seine Zeitgenossen Charles Eames oder George Nelson.

»Fast wie Buchstaben: Nur zusammen kommt der Sinn.«

Vorausschauen. Doch der Nachhall von Harvey Probber, zumindest seines Namens, fiel dann nicht so ergiebig aus. Abgesehen von der Idee des modularen Sofas natürlich. Aber zuletzt hat der deutsche Hersteller Classicon Probber und seinen ursprünglichen Ansatz durch eine Re-edition eines Entwurfs für die Gegenwart aktualisiert. „Deep Tuft“ heißt das System, das nicht mehr braucht als drei Elemente, um alle möglichen Kombinationen zuzulassen: ein Eckmodul, ein Mittelteil mit Lehne und ein lehnenloses Element. Die Basis, um sich Räume flexibel mit individuellen Sofalandschaften zu erschließen. Der Entwurf stammt aus dem Jahr 1972. Seinen Gedankengang dahinter beschrieb der Designer damals ungefähr so: Man müsse das Sofa in kleinste Einheiten zerteilen, jede davon sei für sich bedeutungslos, aber zusammengesetzt könne man extraviel Sinn damit erzeugen. Fast wie in der Morphologie der Sprache: Ein Morphem allein trägt noch kaum den Inhalt. Erst zusammen mit anderen erschließt sich der Gedanke.

Klassisch.„Deep Tuft“ folgt der Idee von Harvey Probber aus den 1970er-Jahren.
Klassisch.„Deep Tuft“ folgt der Idee von Harvey Probber aus den 1970er-Jahren.(c) Beigestellt



Man weiß ja nie, was kommt. Und noch dazu weiß man schon gar nicht, was man will. Oft nicht im Moment. Noch weniger, was man sich in ein paar Jahren wünschen wird. Das Unplanbare mitplanen, damit beschäftigen sich Architekten und Designer seit einiger Zeit, mal mit seriöseren, mal halbherzigeren Lösungen. Die Grundrisse, auf denen die Sofas später Platz finden sollen, sind ja schon starr genug, zum Glück ist man in Gründerzeithäusern noch etwas anpassungsfähig, wenn einmal doch eine Wand im Weg steht. Gut also, wenn die Einrichtung zumindest an flexible Möbelkonzepte anknüpfen kann.

Baukastensystem.  ­„10000 Van Doesburg“ von dem niederländischen Hersteller Gelderland.
Baukastensystem. ­„10000 Van Doesburg“ von dem niederländischen Hersteller Gelderland.(c) Beigestellt



So auch bei dem Berliner Label Ambivalenz, das schon im Namen andeutet, dass auch beim Wohnen nicht immer alles so bleibt, wie es anfangs scheint. „Curt“ heißt das Sofasystem, das modulare Konzepte noch einen Schritt weiter simplifiziert: Es gibt überhaupt nur noch ein Element. Und dieses in seinen Abmessungen auszutarieren war keine leichte gestalterische Aufgabe, wie der Labelgründer Malte Grieb erzählt: „Wir mussten die Modulgröße genau ausbalancieren, damit die Teile als Lehne genauso gut funktionieren wie als Sitzfläche.“

Konfiguration.  „AeroZeppelin“ formt sich nach Nutzerwünschen, von Diesel by Moroso.
Konfiguration. „AeroZeppelin“ formt sich nach Nutzerwünschen, von Diesel by Moroso.(c) Beigestellt



Ein Gesamtkonzept eines Sofas, zerstückelt in wesentliche Elemente und simple Geometrien: Da trifft manchmal Ähnliches auf Ähnliches. Aber in aktuellen Wohn- und Designansätzen treffen immer öfter Gegensätze aufeinander. Der weiche Stoff des einen Elements trifft auf den harten, glatten Marmor des nächsten, das meist dem System sogar eine Funktion hinzufügt, die nicht gerade sitzen, liegen, knotzen heißt. Und auch die ehemals simplen Geome­trien und geraden Linien wachsen sich inzwischen in Sofasystemen gern zu geschmeidigen Kurven aus.

Raumkonzept. Auch der kroatische Möbelhersteller Prostoria hat in den letzten Jahren sein Portfolio um einige modulare Systeme erweitert. Die meisten stammen von dem Designstudio Numen/For Use, einem Kollektiv, das sich aus Sven Jonke, Christoph Katzler und Nikola Radeljković zusammensetzt. Neben der gestalterischen haben die drei in den letzten Jahren noch eine andere Expertise angehäuft: die räumliche. Denn schon durch einige Kubikmeter in internationalen Museen haben sie ihre Ideen sprichwörtlich gesponnen: mit Tape-Installationen.

Gekoppelt. Das Designstudio Numen/For Use entwarf für Prostoria das System „Absent“.
Gekoppelt. Das Designstudio Numen/For Use entwarf für Prostoria das System „Absent“.(c) Domagoj Kunic



Und auch ihre Möbelkonzepte erschließen inzwischen Wohnräume auf ungewöhnliche Weise: so auch mit dem System „Absent“, das sich nicht hartkantig in die Ecken des Alltags fügen will, sondern lieber flüssig-organisch einschmiegt. Dabei unterstützen verschiedenste Rückenhöhen unterschiedliche Komfortbedürfnisse. Auch ihre Erfahrung im Bühnenbild scheint ihnen die Arbeit mit Möbeln im Lebensraum anderer zu erleichtern: einfach, indem sie ihn als Bühne sehen.

("Die Presse - Schaufenster", Print-Ausgabe, 28.02.2020)

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