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Wie ein Jazzgenie akademisch gebändigt wurde

Wynton Marsalis (Archivbild).
Wynton Marsalis (Archivbild).imago images/Ritzau Scanpix
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Allzu streberhaft: der Monk-Abend von Wynton Marsalis im Konzerthaus.

Wenn Trompeter Wynton Marsalis, Lordsiegelbewahrer des traditionellen Jazz, eine Komposition des erratischen Pianisten Thelonious Monk spielen lässt, dann hat sogar ein blinder Pianist wie Marcus Roberts Notenblätter auf dem Klavier. So gesehen in einem Video von 2009 auf YouTube. Wenn Marsalis heute einen ganzen Abend lang Monk zelebriert, tut er es mit viel Gusto und immenser Kenntnis. Seine brillanten Ansagen erhellten das Phänomen eines Menschen, der irgendwo zwischen Genie und Wahnsinn Stücke komponierte, wie es sie vorher und nachher nicht gab. Es gibt wohl kein ästhetisches Gesetz, das Monk nicht gebrochen hat.

Und das war das Problem dieses Abends. Jazz in kleinen Klubs lebte und lebt von individuellen Eigenheiten und ja, sogar von Fehlern. Wenn Marsalis jetzt großorchestral in die goldenen Säle geht – eine Tradition, die Norman Granz nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Serie „Jazz at the Philharmonics“ begonnen hat –, um das Originelle zu feiern, und dies dann völlig unspontan in sorgfältig ausgetüftelten Arrangements versucht, dann hat das mehr als nur einen Hauch von Vergeblichkeit. Die Perfektion, mit der hier dem jegliche Perfektion verachtenden Monk gehuldigt wurde, war sogar unfreiwillig komisch. Und beängstigend, denn das System Marsalis basiert auf exzessiver Kontrolle. So konnte er noch so sehr die vertrackten Rhythmen und das „ultimate level of intensity“ preisen, er und seine Musiker waren gerade wegen ihrer technischen Brillanz nicht fähig, der Musik jene Freiheit zu gönnen, die sie auch im Kopf der Hörer wachsen lässt.

Schwelgerisches „Light Blue“

Die Auswahl des Repertoires war durchaus gelungen, die bekanntesten Stücke ließ das Jazz At The Lincoln Orchestra aus. Im ersten Set gefiel das schwelgerische „Light Blue“ vom Album „Thelonious Monk in Action“ noch am meisten. Schön butterweich war das Solo von Saxofonistin Camille Thurman, der einzigen Frau im Orchester. Marsalis' Kommentar dazu – „She played the horn. It felt good“ – wirkte etwas unpassend. Im zart schimmernden „Ugly Beauty“ sorgte der Südafrikaner Nduduzo Makhathini als Gastpianist für ein etwas gewagteres Pulsieren der Musik. Am Ende gab es höflichen Applaus für ein schmerzhaft streberisches Experiment.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2020)


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