Neues Album

Ein Sänger und sein Freund, der Baum

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41 Jahre musste Bill Fay als Gärtner und Fischverkäufer arbeiten, dann gelang ihm ein Comeback. Nun singt er wieder über seine Zweifel an der Zivilisation, lockt zum Rückzug in die tröstliche Natur.

Schon das allererste Lied, das der heute 77-jährige Londoner Bill Fay aufgenommen hatte, trug prophetische Züge. Der damals 27-Jährige träumte sich in seinem zivilisationsmüden „Garden Song“ erstaunlich innig in die englische Pflanzenwelt: Er pflanze sich selbst in den Garten, sang er, zwischen Kartoffeln und Petersilie; er warte, dass der Regen ihn erquicke; er suche nach dauernden Beziehungen mit einer Fliege, einer Spinne oder einer Made . . .

Zwei Alben nahm Fay 1970 und 1971 zu Beginn der britischen Folkrenaissance auf. Beide waren kommerzielle Reinfälle. Das Label warf ihn hinaus. Dann kam tatsächlich viel Zeit, um sich am Regen zu erquicken: Fay arbeitete die nächsten 41 Jahre als Gärtner und Fischverkäufer. Dennoch nahm er unermüdlich Demos auf. Was sich auszahlen sollte. 2012 brachte das US-Label Dead Oceans seine späte Comebackplatte „Life Is People“ heraus, es folgten „Who Is the Sender“ (2015) und jetzt mit „Countless Branches“ sein subtilstes Opus.

Eine hübsche Zeichnung ziert das Cover: Bill Fay sitzt an einem Klavier, das unter einem knorrigen Baum steht. Obwohl die Sonne bereits aufgeht, steht der Sichelmond noch am Himmel. Hart an der Kante zwischen Tag und Nacht, das ist die Stunde des Songwriters Bill Fay: „I'm sitting here beneath the family tree, countless branches above me, and in the forest countless trees.“ Einmal mehr denkt Fay im karg instrumentierten Titelsong über Natur, Christentum und Familie nach. Die Musik strahlt Stille aus: ein radikaler Gegenentwurf zu dem, was Pop so häufig macht, den Lärm der Zeit zu musikalisieren. Fay ist kein Eskapist, er deutet die Probleme dieser Welt diskret an, lässt sich aber nicht von ihnen irre machen, sondern sucht Freude in den simpelsten Segnungen des Lebens. „It's self-evident, this world ain't safe in human hands“, singt er sanft.

Dead Ocean

Musik, die in sich selbst ruht

Fay lockt zum Rückzug in die tröstliche Natur, erinnert sich an sich selbst als Kind, das die Augen gerade für die Wunder dieser Welt öffnete. In „Filled with Wonder Again“ erzählt er, begleitet von einem Cello, wie ihn das Lachen heutiger Kinder zu sich selbst zurückführt. „No I'll not be travelling to the other side of the world, I will remain here, and search for the hidden truth“, singt er zart. (Dieses Beharren auf einen Ort hält ihn übrigens auch von Tourneen ab.) In einer wild mit der Apokalypse flirtenden Angstgesellschaft dieser seltsam in sich ruhenden Musik zu lauschen, ist delikat.

Sehr zu empfehlen ist die Deluxe-Edition, enthält sie doch ein paar voll arrangierte Versionen der sonst so schmucklos vorgetragenen Lieder: Aus der Acid-Jazz-Ära bekannte Musiker wie Matt Deighton und Steve White fetten mit E-Gitarre, Orgel und Schlagzeug die Kargheit wirkungsvoll auf. Wichtigstes Instrument bleibt auch hier die barmende Stimme des alten Meisters.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2020)

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