Urteil

Deutsche dürfen beim Sterben helfen

Die Richterinnen und Richter in Karlsruhe fällten ein Urteil zur Sterbehilfe, das für Diskussionen sorgt.
Die Richterinnen und Richter in Karlsruhe fällten ein Urteil zur Sterbehilfe, das für Diskussionen sorgt.Uli Deck / dpa / picturedesk.com
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Die Verfassungshüter kippen das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe und lösen damit eine emotionale Debatte aus.

Berlin. In Karlsruhe, dem Sitz des Bundesverfassungsgerichts, geht es an diesem Vormittag um ein Urteil, das große ethische Grundfragen berührt, ja, man könnte sagen: Es geht um Leben und Tod. Denn die Richter in ihren roten Roben kippen das Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe. Das Urteil erregt großes Aufsehen in Deutschland. Es könnte die Tür für neue Sterbehilfevereine öffnen, wie sie zum Beispiel in der Schweiz existieren.

Es gebe ein „Recht auf selbstbestimmtes Sterben“, begründete der Präsident des Verfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle. Und das schließe ein, sich das Leben zu nehmen und dazu Angebote von Dritten in Anspruch zu nehmen. Das Verbot verletzte darüber hinaus Grundrechte von Vereinigungen, die Suizidhilfe leisten möchten. Denn Sterbewillige seien bei der Umsetzung mitunter darauf angewiesen, dass Dritte dazu Gelegenheit gewähren, verschaffen oder vermitteln. Sofort nach dem Urteilsspruch setzte eine rege und emotionale Debatte ein.

Paragraf 217 im Visier

Aber der Reihe nach: Deutschlands Sterbehilfe-Gesetze waren schon bisher lockerer als jenes in Österreich (siehe Artikel rechts). Zwar ist aktive Sterbehilfe da wie dort verboten. Es ist also untersagt, jemanden auf dessen Verlangen hin zu töten, etwa durch Verabreichen einer Giftspritze. Aber der „assistierte Suizid“ war bis 2015 in Deutschland auch unter Mitwirkung von Ärzten und Sterbehelfern erlaubt. Oder anders: Es war straffrei, jemandem ein tödliches Medikament zu beschaffen. Schlucken musste er es selbst.

2015 hat die Politik die Gesetzeslage verschärft. Die Sterbehilfe durch Angehörige blieb zwar erlaubt. Der neue Paragraf 217 stellte aber die „geschäftsmäßige“ – also auf Wiederholung angelegte – „Förderung der Selbsttötung“ unter Strafe. Bei Verstößen drohten bis zu drei Jahre Haft. Das Verbot zielte auch auf Sterbehilfevereine, die sich damals ausbreiteten. Sie sollten nicht gesellschaftsfähig werden. Das Gesetz wirkte. In Deutschland. Sterbehelfer zogen sich zurück. Zu den Nebenwirkungen zählte, dass eine Art „Suizidtourismus“ in die Schweiz einsetzte. Einige Ärzte und Sterbehelfer zogen dann vor das Verfassungsgericht, auch vier Patienten. Nun ist das Verbot nichtig.

Die Verfassungshüter zeigten aber Spielräume auf, wie sich die Suizidhilfe weiterhin regulieren lässt. Als Beispiel werden Aufklärungs- und Wartepflichten genannt. Man könnte die Suizidhilfe auch unter Erlaubnisvorbehalt stellen, um die Zuverlässigkeit von Suizidhilfeangeboten zu sichern.

„Normalisierung des Suizids“

Das Urteil spaltet die Republik. Zwar befürwortet eine klare Mehrheit der Deutschen laut Umfragen das Aus für Paragraf 217. Die Diakonie warnte jedoch, es müsse nun mit allen Kräften dafür gesorgt werden, dass Sterbehilfe „nicht ein furchtbares Instrument der Marktgesellschaft“ werde. Denn Befürworter des Verbots fürchten, dass die ohnehin verbreitete Ökonomisierung des Lebens dazu führen könnte, dass sich Menschen vermehrt aus Nützlichkeitserwägungen das Leben nehmen könnten. Auch die Ärztekammer hatte das Verbot verteidigt. Es schütze vor der „Normalisierung des Suizids“.

Aber das sehen nicht alle so: Die SPD im Bundestag drängt noch am Mittwoch CDU-Gesundheitsminister Jens Spahn, nun seinen Widerstand gegen die Abgabe der für die Sterbehilfe notwendigen Medikamente aufzugeben: „Schwerstkranke Patienten, die selbstbestimmt ihr Leben beenden wollen, dürfen nicht allein gelassen werden.“

Hilfsangebote
Informationen mit Hilfsangeboten für Personen mit Selbstmordgedanken und deren Angehörige gibt es unter www.suizid-praevention.gv.at. Die Telefonseelsorge ist unter der Nummer 142 gratis erreichbar (0–24 Uhr).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2020)

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