Bisher hat kein Mitgliedstaat den Wunsch angemeldet, die Reisefreiheit in der EU einzuschränken. Allerdings hat man Sorgen um kommende Großereignisse.
Brüssel. Sollen die Staaten des Schengen-Raums aufgrund des grassierenden Coronavirus gegenseitig Grenzkontrollen einführen? Nein, lautete der einhellige Befund nach dem ersten Treffen von Experten der nationalen Regierungen, der Europäischen Kommission und der EU-Grenz- und Küstenwache Frontex am Mittwoch. „Kein Mitgliedstaat hat den Wunsch vorgebracht, Grenzkontrollen einzuführen“, sagte eine Sprecherin der Kommission am Donnerstag bei deren täglicher Pressekonferenz in Brüssel. Sehr wohl jedoch sei man sich darin einig, dass sich die nationalen Grenz- und Gesundheitsbehörden mit den Stellen der EU absprechen müssen, um infizierte Reisende schnell in Quarantäne und medizinische Obhut zu bringen.
„Viren kennen keine Grenzen. Darum sind Grenzkontrollen innerhalb des Schengen-Raumes keine angemessene Maßnahme, um die Verbreitung des Virus einzudämmen“, brachte ein hoher Kommissionsbeamter gegenüber Journalisten die Haltung der beteiligten nationalen und EU-Fachleute auf den Punkt.
Fiebermessen sinnlos
Der Grund für diesen Befund liegt in der besonderen Eigenschaft des Erregers Covid-19: Es kann bis zu zwei Wochen nach einer Ansteckung dauern, bis man Anzeichen davon erkennen lässt, allen voran Fieber. Darum sei auch das Messen der Körpertemperatur von Einreisenden an Flughäfen nicht geeignet, um die Verbreitung des Virus wesentlich zu stoppen, fügte ein Experte des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) hinzu.
Die rund 280 Mitarbeiter dieser seit dem Jahr 2005 tätigen EU-Agentur mit Sitz in Stockholm sind derzeit mehrheitlich mit der Analyse der Verbreitung und der Schwere der Fälle von Covid-19 befasst. Zweimal täglich werden die eintreffenden Daten neu bewertet. Demzufolge ist das Risiko für andere EU-Staaten, Coronavirus-Brennpunkte wie jene in Norditalien zu bekommen, mäßig bis hoch. Das unmittelbare Risiko einer weiten Verbreitung des Virus in der gesamten EU jedoch sei nur niedrig bis mäßig.
Mit großer Sorge jedoch blickt man auf nahende Großereignisse: den Song Contest in den Niederlanden im Mai (samt unzähligen Partys allerorten), die Fußball-Europameisterschaft an mehreren Standorten ab Mitte Juni, die Saison der Musikfestivals im Sommer. Brauchen die EU-Staaten ein einheitliches Prozedere dafür, wann solche Veranstaltungen aus epidemiologischer Sicht abzusagen sind? „Eine gute Frage. Derzeit haben wir nicht genug Information, um sie zu beantworten“, sagte der Experte von der ECDC. „Die Situation entwickelt sich sehr rasch. Je näher diese Veranstaltungen kommen, desto genauer werden die Veranstalterländer und wir uns das anschauen müssen.“
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2020)