Programm

Finstere Zeiten bei den Wiener Festwochen

Intendant Christophe Slagmuylder.
Intendant Christophe Slagmuylder.(c) APA/HANS PUNZ
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Romeo Castellucci inszeniert Mozarts Requiem, De Keersmaker Bachs „Goldberg-Variationen“. Zur Eröffnung will ein gemischtes Team Beethoven-Werke neu deuten. Sonst regiert bis 21. Juni die Apokalypse.

„In den finsteren Zeiten – wird da auch gesungen werden? Da wird auch gesungen werden. Von den finsteren Zeiten.“ Wie ein Menetekel hing Brechts „Svendborger Gedicht“ bei der Präsentation des Festwochenprogramms an der Wand, daneben standen Zeilen aus Mahlers „Lied von der Erde“: „Mensch, wie lange lebst denn du?“

Als hätte er die virale Atmosphäre dieser Tage vorausgeahnt, setzt Intendant Christophe Slagmuylder bei seinen zweiten Festwochen auf Untergangsstimmung: „In unserer Gegenwart erscheinen Zerstörung, Auslöschung und Ausrottung als alltägliche Tatsachen“, schreibt er. Alles düster: Philippe Quesne zeigt mit „Farm Fatale“ eine „posthumane Zukunft“, in der keine Vögel mehr singen; Heiner Goebbels (zum ersten Mal seit über zehn Jahren wieder in Wien) zeichnet mit „Everything That Happened And Would Happen“ die vergangenen hundert Jahre als „Zyklus des Zusammenbruchs“. Boris Nikitin bringt einen „Versuch über das Sterben“, Markus Schinwald einen „Danse macabre“, Tim Etchells ein „Heartbreaking Final“; Bernd Gander, der Heavy-Metal-Fan unter den österreichischen E-Musik-Komponisten, will mit „Oozing Earth“ laut Programm „Bilder eines gequälten, blutenden, zu Tode geschundenen Planeten“ wecken. In einer Ausstellung in der Kunsthalle werden, wir zitieren wörtlich, „anthropozentrische und heteropatriarchale Fantasien, die den Menschen als dominante Lebensform auf unserem Planeten annehmen, infrage gestellt“.

Katie Mitchell nennt ihr Stück gleich „2020 oder das Ende“. Romeo Castellucci, der uns 2019 mit sechs (gespielten) Todesfällen konfrontiert hat, inszeniert heuer einen „Atlas des großen Sterbens“ – und zwar zu Mozarts Requiem. Choreografin Teresa De Keersmaeker setzt indessen ihre Bach-Explorationen mit den „Goldberg-Variationen“ fort. Jahresregent Beethoven prägt schon die Eröffnung auf dem Rathausplatz: Interpreten verschiedener Stilrichtungen, vom Koehne Quartett über die wienerischen Strottern und die Disco-Chanteuse Ankathie Koi bis zum deutschen Jazz-Humoristen Helge Schneider wollen seine Werke neu deuten.

Gegen Integration, für Integration

Die Eröffnungsrede im Burgtheater, am 16. Mai, halten der Schweizer Theatermacher Milo Rau (er hat 2016 in einem Manifest die „Europäische Republik“ proklamiert) und die indigene Aktivistin Kay Sara, in ihrer Rede „Against Integration“ wollen sie „den blutigen Zusammenprall von überlieferter Weisheit und globalem Turbokapitalismus im brennenden Amazonasgebiet reflektieren“ und die „Integration in kapitalistische Strukturen zurückweisen“. Eine „Schule für Integration“ bietet dagegen die kubanische Künstlerin Tania Bruguera in der Kunsthalle Wien unter dem Titel „Bitte liebt Österreich“, den vor 20 Jahren schon Christoph Schlingensief für sein Festwochen-Projekt wählte. (tk)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2020)

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