2021 übernimmt die im Einflussbereich des Innenministeriums stehende Bundes-Betreuungsagentur die Rechtsberatung in Asylverfahren. Diakonie und Volkshilfe sind in Sorge.
Die Regierung macht ernst: Die Verträge mit den NGO zur Asylwerberberatung wurden mit Ende Februar gekündigt. Damit setzt Türkis-Grün um, was Türkis-Blau geplant hatte: Ab 1. Jänner 2021 wird die im Einflussbereich des Innenministeriums stehende Bundes-Betreuungsagentur die Rechtsberatung in Asylverfahren übernehmen. Diakonie und Volkshilfe befürchten "Chaos und Stillstand in Asylverfahren".
"Die Unabhängigkeit der Rechtsberatung im Asylverfahren wird mit Ende diesen Jahres Geschichte sein", konstatierte Diakonie Österreich-Direktorin Maria Katharina Moser anlässlich der Kündigung der Verträge am Freitag in einer Aussendung. Auch die neue Regierung habe die einhelligen Warnungen vor der Aushöhlung des Rechtsstaates - von zahlreichen Juristen über den UNHCR bis zur UN-Menschenrechts-Kommissarin - "in den Wind geschlagen", kritisierte Erich Fenninger, der Direktor der Volkshilfe. Diese führt in Kooperation mit der Diakonie "noch" die Rechtsberatung durch.
Kritik an „de facto-GmbH des Innenministers"
Wenn die rechtliche Vertretung Asylsuchender einer Bundesagentur, "die de facto eine GmbH des Innenministers ist", übertragen wird, wächst die Gefahr, dass fehlerhafte oder willkürliche Entscheidungen nicht mehr revidiert werden und auch dem Blick und damit der Kontrolle der Öffentlichkeit entzogen sind, kritisierten Caritas und Volkshilfe.
Denn so wie die Bundes-Betreuungsagentur (BBU) unterstehe auch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, das für fehlerhafte Entscheidungen verantwortlich sei, dem Innenministerium. Die Leitung der Rechtsberatung werde genauso wie die Geschäftsführung der Bundesagentur den Anweisungen des vom Ministerium dominierten Aufsichtsrates zu folgen haben. Damit sei die Unabhängigkeit dahin - auch wenn die einzelnen Rechtsberater "auf dem Papier 'weisungsfrei'" seien, stellten Moser und Fenninger fest.
Weisungsfreiheit könnte aber nur mit ausreichender Finanzierung funktionieren, betonten sie. Diese sei ebenso fraglich wie vieles andere rund um Personal und Organisation der BBU-Rechtsberatung. Werde das alles nicht in den nächsten zehn Monaten geklärt, müsse man befürchten, dass es zum Stillstand der Verfahren in Zweiter Instanz kommt und "das Asylwesen in Österreich im Chaos versinkt".
Gekündigt hat die Verträge die grüne Justizministerin Alma Zadic - denn sie war, wie sie gleich bei Amtsantritt betonte, diesbezüglich an das Arbeitsübereinkommen gebunden. Die ÖVP war in den Verhandlungen nicht von diesem alten Vorhaben abgerückt, einziges Zugeständnis an die Grünen war die Etablierung eines Qualitätsbeirats zur Sicherstellung einer unabhängigen Rechtsberatung unter Einbeziehung unter anderem von UNHCR und Volksanwaltschaft.
Gekündigt werden mussten die Verträge schon jetzt, weil die Kündigungsfrist zehn Monate beträgt. Dies auch nur, weil Clemens Jabloner, der Justizminister der Beamtenregierung, die Verträge im Vorjahr nicht auflösen wollte - und eine kürzere Verhandlungsfrist ausverhandelt hatte. Damit konnte er diese Entscheidung der neuen Regierung überlassen.
Grüner Ex-Justizsprecher kritisiert „massiven Rückschritt“
Die Umstellung der Rechtsberatung stieß nicht nur auf Kritik der NGO und der SPÖ, sondern auch die des früheren grünen Justizsprechers Albert Steinhauser. Er konstatierte auf Twitter einen "massiven rechtsstaatlichen Rückschritt".
Die türkis-grüne Regierung habe damit eine "politisch falsche Richtungsentscheidung" getroffen, befand Steinhauser. Er war von 2007 bis 2017 grüner Justizsprecher und 2017 von Eva Glawischnigs Rücktritt bis zum Abschied aus dem Nationalrat auch grüner Klubobmann. Jetzt ist er nach eigenen Angaben "ohne parteipolitische Funktion und wieder Gewerkschafter".
Enttäuscht von den Grünen ist auch SPÖ-Integrationssprecherin Nurten Yilmaz. Sogar der ehemalige ÖVP-Justizminister Josef Moser habe es "bis zum Schluss verhindert, was die Justizministerin (Zadic, Anm.) jetzt umsetzt". Der Rechtsstaat werde mit dieser türkis-grünen Maßnahme "auf Kosten von schutzbedürftigen Menschen" ausgehöhlt.
(APA)