Syrische Flüchtlinge

Türkei will Grenze zu EU "in nächster Zeit nicht schließen"

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan. APA/AFP/ADEM ALTAN
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Rund 18.000 Flüchtlinge sollen bereits an die türkischen Grenzen zu Griechenland gekommen sein. Die Zahl könne laut Präsident Erdogan am Samstag noch auf 30.000 steigen. In Bulgarien soll es ein Krisentreffen geben.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan will ungeachtet der Vereinbarungen mit der EU Tausende Flüchtlinge die Grenze zur EU passieren lassen. "Wir werden die Türen in nächster Zeit nicht schließen, und das wird so weitergehen", sagte Erdogan am Samstag in Istanbul und warf der EU vor, sich nicht an die Zusagen im Flüchtlingspakt gehalten zu haben. Seinen Angaben zufolge sind seit Freitag bereits 18.000 Flüchtlinge an die türkischen Grenzen zur EU gekommen. Die Zahl könne am Samstag noch auf 25.000 bis 30.000 steigen.

"Die Europäische Union muss ihre Zusagen einhalten. Es ist nicht unsere Aufgabe, uns um so viele Flüchtlinge zu kümmern, sie zu versorgen." Erdogan sagte, die EU-Gelder für die Türkei zur Unterstützung der Flüchtlinge kämen zu langsam an. Er habe Bundeskanzlerin Angela Merkel darum gebeten, dass die Mittel direkt an die türkische Regierung übermittelt werden.

Am türkischen Grenzübergang Pazarkule lieferten sich am Samstag unterdessen griechische Polizisten und tausende Flüchtlinge gewaltsame Auseinandersetzungen. Wie ein Fotograf der Nachrichtenagentur AFP berichtete, setzte die griechische Polizei Tränengas ein, einige Migranten warfen mit Steinen. Der griechische Regierungssprecher Stelios Petsas sagte nach einem Krisentreffen des Kabinetts von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis in Athen, griechische Grenzbeamte hätten am Freitag mehr als 4000 illegale Grenzübertritte verhindert.

EU-Außenminister beraten am Donnerstag

Die Außenminister der EU wollen am Donnerstag über die Türkei beraten. Das bestätigte Sprecherin Virginie Battu am Samstag. Das Thema Türkei stand demnach aber bereits vor dieser neuen Entwicklung auf der Tagesordnung des Ministertreffens. Griechenlands Außenminister Nikos Dendias hatte aufgrund der jetzt zu erwartenden neuen Flüchtlingsbewegungen am Samstag ein Sondertreffen der EU-Außenminister gefordert, wie der Staatssender ERT berichtete.

Der bulgarische Regierungschef Boiko Borissow hat zuvor ein "großes Treffen" in Bulgarien in Aussicht gestellt. Dabei sollen Entscheidungen zur Situation in der Region getroffen werden, sagte Borissow am Samstag in der bulgarischen Stadt Plowdiw einer Mitteilung der bulgarischen Regierung zufolge.

"Am Montag werde ich hingehen, um mit (dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip) Erdogan seine Bedingungen zu verhandeln, damit wir diese Entwicklung dauerhaft lösen", sagte Borissow. Bei dem Treffen soll es der Mitteilung der Regierung zufolge um die Rückführung der Migranten, die Militärhandlungen in Syrien, die humanitäre Krise und das Eingreifen der Nato gehen. Es soll sich um ein Treffen mit Erdogan und europäischen Führern handeln, berichtete das bulgarische Staatsfernsehen.

Der bulgarische Regierungschef sprach den amtlichen Angaben zufolge am Freitag unter anderen zwei Mal mit Erdogan und zwei Mal auch mit dem türkischen Außenminister Mevlüt Cavusoglu. Er informierte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen darüber. Borissow appellierte dabei, dass die "EU die Kommunikationskanäle mit der Türkei geöffnet hält".

An der 259 Kilometer langen bulgarisch-türkischen Landgrenze, die auch mit Zäunen geschützt wird, gab es am Samstag nach Borissows Worten "Null Migration". Bulgarien hat die Grenze bereits am Freitag durch Gendarmerie verstärkt. 300 Soldaten und 50 Spezialkräfte wurden am Samstag in Bereitschaft versetzt, um bei Bedarf einzugreifen.

Hält der Flüchtlingspakt?

Ein ranghoher türkischer Regierungsvertreter hatte am Freitag gesagt, die Türkei werde ihre Grenzen für Flüchtlinge, "die nach Europa wollen", nicht länger schließen. Am Abend teilte dann aber der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell nach einem Telefonat mit dem türkischen Außenminister Cavusoglu via Twitter mit, die EU habe von der Türkei eine "Zusicherung" erhalten, dass Ankara sich an seinen Teil des Flüchtlingspakts zwischen der EU und der Türkei halten werde.

Die EU und die Türkei hatten im März 2016 ein Flüchtlingsabkommen geschlossen, nachdem 2015 hunderttausende Flüchtlinge über die Balkan-Route nach Zentraleuropa gekommen waren. Infolge des teils heftig kritisierten Flüchtlingspaktes sank die Zahl der über die Türkei in die Europäische Union gelangenden Migranten deutlich.

In dem Abkommen verpflichtete sich Ankara, alle neu auf den griechischen Ägäis-Inseln ankommenden Flüchtlinge zurückzunehmen und stärker gegen Schlepperbanden vorzugehen. Die EU versprach im Gegenzug Milliardenhilfen, eine beschleunigte Visa-Erleichterung und die Modernisierung der Zollunion.

Die Zahl der Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien nimmt derzeit wieder zu, weil Machthaber Bashar al-Assad zusammen mit seinem Verbündeten Russland eine Offensive in der letzten Hochburg der Assad-Gegner in Idlib führt. Dort sind vor allem islamistische und jihadistische Milizen aktiv, die teils von der Türkei unterstützt werden. Bei Luftangriffen in Idlib wurden am Donnerstag 33 türkische Soldaten getötet, ein weiterer erlag später seinen Verletzungen.

Türkische Warnungen an Russland und Syrien

Erdogan richtete wegen des Konflikts am Samstag scharfe Warnungen an Russland und Syrien. In einem Telefonat mit Kreml-Chef Wladimir Putin am Freitag sagte er nach eigenen Angaben seinem russischen Kollegen: "'Was macht Ihr dort? Wenn Ihr einen Stützpunkt aufbauen wollt, bitte, aber geht uns aus dem Weg. Lasst uns mit dem (syrischen) Regime allein.'" Syrien drohte Erdogan, dass es den "Preis zahlen" werde für den Tod der türkischen Soldaten.

Auf einen Blick

Die Türkei hat in den vergangenen Jahren 3,7 Millionen Flüchtlinge aus dem syrischen Bürgerkrieg aufgenommen, hinderte sie bisher aber an der Weiterreise nach Europa. Grundlage ist ein Abkommen mit der EU im Zuge der Flüchtlingskrise von 2015/2016, als Hunderttausende Menschen vor allem aus Syrien und dem Irak nach Europa geströmt waren.

Kürzlich gab die Türkei aber bekannt, Flüchtlinge nun nicht mehr an der Weiterreise nach Europa zu hindern. Griechenland und Bulgarien kündigten daraufhin eine umgehende Verstärkung ihrer Grenzen zur Türkei an.

(APA/AFP/Reuters)

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