Die mediale Allgegenwärtigkeit des neuartigen Erregers befeuert eine Hysterie, die bedenklich ist. Der Versuch einer Einordnung, ohne das Coronavirus verharmlosen zu wollen.
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Jede Sondersendung, jede Pressekonferenz, jedes Interview eines Politikers endet derzeit mit der mantraartigen Beschwörungsformel: „Bitte keine Panik". Bevor sie ausgesprochen wird, hören wir allerdings von Krankheitsfällen, Todesopfern, abgeriegelten Hotels und Schulen, Reisewarnungen und Zusammenbrüchen der globalen Wirtschaft. Omnipräsent sind auch die Bilder aus Wuhan als trostlose Geisterstadt , Menschen in Masken und Tote in Leichensäcken. In Echtzeit wird momentan jeder Virustest beobachtet und als Breaking-News auf allen Kanälen kommuniziert. Auch in dieser Zeitung war von alarmierenden Vorstellungen einer Pandemie zu lesen (Peter Birner, am 26.2.2020).
Als klinisch tätiger Arzt bin ich beunruhigt. Beunruhigt und verstört über eine um sich greifende Verunsicherung und eskalierte Irrationalität.

Sieht man sich nüchtern Zahlen und Fakten an, ist dieses Coronavirus sehr unerfreulich und hätte Potenzial, eine neue beziehungsweise weitere Grippe zu werden. Die „echte" Grippe (Influenza) verursacht in einer gewöhnlichen Saison mehr als 1500 Todesfälle allein in Österreich. Ihre Letalität (Todesfälle pro Infiziertem) liegt bei 0.1 Prozent. Das Zahlenmaterial der an dem Coronavirus Erkrankten legt eine mögliche Letalität von etwa zwei Prozent nahe. Wenn man die Dunkelziffer der Infizierten ins Kalkül nimmt, dürfte diese in Europa wohl eher auch bei 0,1-0,2 Prozent liegen. Denn der überwiegende Großteil der Infektionen (80 Prozent) verläuft sehr mild und wird dadurch oft nicht statistisch erfasst. Weiters dürfte die asiatische Bevölkerung insgesamt ein höheres Risiko zu erkranken tragen, da das Virus nach derzeitigem Erkenntnissen einen bestimmten Rezeptor in den Atemwegen nutzt, um Menschen zu befallen, der in der asiatischen Bevölkerung scheinbar stärker vorhanden sein dürfte. Kinder sind aus noch ungeklärten Gründen nicht relevant bedroht. Sie erkranken zwar, aber mit lediglich milden Verläufen. Gerade Letzteres ist eine Erleichterung. Aber auch, dass es somit generell kein hollywoodartiges Killervirus ist.
Bedenkliche und überzogene Hysterie
Diese Zahlen zeichnen also ein Bild, das sich mit der momentanen Hysterie nur schwer in Einklang bringen lässt. Nur so als Denkansatz: Die Impfrate gegen die in etwa vergleichbare Influenza liegt in Österreich bei unter zehn Prozent, wobei das Bedrohungsszenario für den Einzelnen hier deutlich höher liegt. Zum Höhepunkt der Influenza gibt es regelmäßig über 10.000 Infizierte pro Woche, allein in Wien. Hotels werden deshalb nicht abgeriegelt. Und auch keine Supermärkte leergekauft.
Es geht nicht darum, das Coronavirus zu verharmlosen. Seine Allgegenwärtigkeit in den Zeitungen und auf den Bildschirmen sowie die vielen marktschreierischen Schlagzeilen befeuern aber eine Hysterie, die bedenklich ist und deutlich überzogen.
Also ernsthaft: „Keine Panik“.
Der Autor
Dr. Gernot Rainer (*1978) ist Lungenfacharzt und Facharzt für Intensivmedizin in Wien. Er ist Gründer und ehemaliger Obmann der Ärztegewerkschaft Asklepios. Buchautor.