Israel

Nach der Wahl liegt der Ball wieder bei Präsident Rivlin

In Zeiten des Coronavirus wählten Israelis auch in Schutzzelten.
In Zeiten des Coronavirus wählten Israelis auch in Schutzzelten.(c) APA/AFP/GALI TIBBON (GALI TIBBON)
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Israel. Die Wähler strömten trotz Coronavirus an die Urnen, doch es zeichnet sich abermals ein Patt zwischen Netanjahu und Gantz ab.

Wien/Jerusalem. Reuven Rivlin galt nie als großer Fan seines Ex-Parteifreunds Benjamin Netanjahu – und umgekehrt. Und doch wird der Präsident wohl nicht umhinkommen, mit dem Premier und Likud-Chef über Regierungsverhandlungen zu sondieren – wie bereits zweimal im vergangenen Jahr. Vergeblich hat Rivlin versucht, die Rivalen Netanjahu und Benny Gantz vom Oppositionsbündnis Blau-Weiß in eine Regierung der nationalen Einheit zusammenzuspannen. Und so war am Montag „Murmeltiertag“ in Israel, bei der rekordverdächtigen dritten Wahl in elf Monaten.

Bei der Stimmabgabe in Jerusalem zeigte sich der Staatschef zerknirscht. Eigentlich, so führte er aus, sollte der Wahltag ein Festtag der Demokratie sein. Aber der 80-Jährige machte kein Hehl aus seinem Frust, den er vermutlich mit der Mehrheit seiner Landsleute teilt. „Ich schäme mich. Wir haben das nicht verdient.“ Er spielte auf den Dauerwahlkampf seit Dezember 2018 an, auf die Schmutzkampagne und die „endlose Phase der Instabilität“.

Trotz Unkenrufe über Wahlmüdigkeit und Desinteresse zeichnete sich die größte Wahlbeteiligung seit 20 Jahren ab – ein Ausdruck der Polarisierung im Land. Um den mehr als 5000 Israelis, die infolge des Coronavirus in häuslicher Quarantäne zubringen, die Möglichkeit für ein Votum zu geben, hat die Wahlbehörde sogar eigene Schutzzelte aufgestellt.

„Corona oder Bibi?“ – „Tibi oder Bibi?“

Manche reagierten mit Galgenhumor: „Corona oder Bibi?, fragte eine Wählerin in Anspielung auf Netanjahus Spitznamen. „Dann lieber Corona.“ Die Befürchtung, die Israelis könnten aus Angst vor einer Ansteckung den Urnen fernbleiben, schien sich zunächst nicht zu bestätigen.

Der Premier hatte wieder einmal mit Angstpropaganda mobil gemacht, wie vor fünf Jahren, als er davor gewarnt hatte, dass die israelischen Araber in Scharen in die Wahllokale schwärmen würden. „Tibi oder Bibi?“, fragte er jetzt seine Anhänger, die ihn ungeachtet der Anklage in drei Korruptionsaffären als „König von Israel“ verehren. Es sollte suggerieren, dass Gantz ohne Ahmet Tibi, einen Arzt und prominenten israelisch-arabischen Abgeordneten der Vereinigten Liste, keine Koalition bilden könne. Benny Gantz schloss dies indes aus.

Die Vereinigte Liste, ein heterogenes Zweckbündnis von vier Parteien der israelischen Araber, war allerdings im Wahlkampf hochaktiv – und ihr Führer Ayman Odeh avancierte in linksliberalen, jüdischen Zirkel Tel Avivs zu einer Kultfigur. Die arabische Minderheit stellt ein Fünftel der Bevölkerung Israels, und bei der letzten Knesset-Wahl vor einem halben Jahr stieg sie mit 13 Mandaten gar zur drittstärksten Kraft auf. Die Tendenz zeigte weiter nach oben, zumal sich der Unmut der Araber über den Nahost-Friedensplan Donald Trumps gegen Israels Premier als Einflüsterer des US-Präsidenten richtete und sich in einer hohen Wahlbeteiligung manifestierte.

Königsmacher Lieberman

An der Ausgangslage hat sich seit der ersten Wahl im April 2019 wenig geändert. Weder der Rechtsblock unter Führung Netanjahus noch der Mitte-Linksblock unter Gantz schien mehrheitsfähig. Auf Avigdor Liebermans rechtsnationaler Partei „Unser Haus Israel“, langjähriger Koalitionspartner Netanjahus, kommt wohl erneut die Rolle des Züngleins an der Waage zu. Eine große Koalition zwischen Likud und Blau-Weiß scheitert auch an persönlichen Animositäten zwischen den Parteichefs. Netanjahu schmähte Gantz als „Weichei“, der Herausforderer bezeichnete den Premier als „Mafioso“.

Ex-Minister Lieberman, der wegen der Befreiung der Orthodoxen von der Wehrpflicht in einem taktischen Manöver aus der Rechtskoalition ausscherte, plädiert bei einem Rücktritt Benjamin Netanjahus für dessen Amnestie. In zwei Wochen beginnt in Jerusalem der Prozess gegen den Premier. Wie seinem Vorgänger Ehud Olmert droht auch ihm eine Gefängnisstrafe. Das Verfahren könnte sich jedoch über Jahre hinziehen, und Netanjahu könnte weiter im Amt bleiben – sofern ihm dies der Oberste Gerichtshof nicht untersagt.

30 Prozent der Israelis glauben bei einem Fortbestand des Patts schon an einen vierten Wahlgang in wenigen Monaten. Gantz hofft indes auf einen „Heilungsprozess“ – und Präsident Rivlin auf einen nächsten Wahltermin erst im Jahr 2024.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2020)

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