Morgenglosse

Netanjahu freut sich zu früh über seinen erstaunlichen Sieg

Netanjahu nach der dritten Wahl binnen elf Monaten
Netanjahu nach der dritten Wahl binnen elf MonatenAPA/AFP/GIL COHEN-MAGEN
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Wenn Israelis wählen, kommt neuerdings immer ein Patt heraus, nun offenbar schon zum dritten Mal. Langzeit-Premier Netanjahu stellt Israels Demokratie auf eine harte Probe.

Überraschend viele Israelis mögen Benjamin Netanjahu immer noch. Ihr Langzeit-Premier ist wegen Betrug, Bestechlichkeit und Untreue angeklagt, ihm drohen deswegen bis zu zehn Jahren Haft. Dennoch fuhr er zwei Wochen vor dem Prozessbeginn bei der Parlamentswahl einen Sieg ein. Sein national-konservativer Likud legte zu und kam deutlich vor der zentristischen Blau-Weiß-Partei des ehemaligen Armeechefs Benny Gantz ins Ziel, der beim Urnengang im September noch die Nase vorne gehabt hatte. Netanjahu war in Feierlaune. Der Triumph sei süßer als seine erste Wahl zum Premier 1996, rief er seinen Anhängern zu.

Doch möglicherweise freute er sich zu früh. Denn eine Regierungsmehrheit schien Netanjahus Rechtsblock abermals zu verpassen, wenngleich auch nur haarscharf. Auch bei der dritten Parlamentswahl innerhalb von weniger als einem Jahr dürfte eine Pattstellung herauskommen. Das Momentum ist nun aber bei Netanjahu. Präsident Rivlin wird kaum umhin können, staatsrechtliches Neuland zu betreten und dem seit November angeklagten Likud-Chef den Auftrag zur Regierungsbildung zu erteilen. „König Bibi“ braucht vermutlich den einen oder anderen Überläufer, um eine Mandatsmehrheit zustandezubringen. Seine Gegner, allen voran sein ehemaliger Verbündeter Avigdor Lieberman, könnten ihn allerdings wieder verhungern lassen. Und was dann? Wieder Neuwahlen?!

Netanjahu ist ein begnadeter Wahlkämpfer, ein rücksichtloser Meister der Polarisierung und eine beeindruckende Führungspersönlichkeit. Er hat den Urnengang zum Plebiszit über seine umstrittene Person stilisiert, von den Schwächen seines Konkurrenten, Benny Gantz, profitiert – und gewonnen.  Doch ganz klappte der Entfesselungstrick dann eben offenbar doch nicht. Mit ihm an der Spitze wird der Likud kaum in der Lage sein, eine Koalition zu bilden, wenn der Rechtsblock keinen Mandatsüberhang hat. Durchbrochen werden kann das sich abzeichnende Patt nur, wenn Netanjahu den Hut nimmt. An Rückzug aber wird er angesichts seiner Anklage und nach diesem Wahltriumph weniger denn je denken. Israel bleibt vorerst in der Geiselhaft Netanjahus und möglicherweise gefangen in einem Wahl-Kreislauf, der keine Entscheidung bringt.  

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