Gastbeitrag

Schnell und nachhaltig handeln: Europas neue Generation macht es vor

In ganz Europa protestieren junge Menschen für eine andere Klimapolitik.
In ganz Europa protestieren junge Menschen für eine andere Klimapolitik. REUTERS
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„Die neue Generation möchte schnell handeln – und sie hat recht", schreibt die EU-Kommissionspräsidentin nach ihren ersten 100 Tagen im Amt. Denn: „Wenn es um die Zukunft unseres Planeten geht, birgt zögerliches Vorgehen das größte Risiko."

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Als ich vor 100 Tagen mein Amt antrat, war ich beeindruckt von dem Mut, den die nächste Generation Europas in ihrem Denken und Handeln an den Tag legt. Ich habe das auch am Freitag wieder gesehen – und laut und deutlich gehört –, als Tausende junge Menschen in Brüssel auf die Straße gingen, um für den Schutz unseres Planeten zu demonstrieren.

Diese Generation möchte schnell handeln – und sie hat recht, denn wir stehen vor einer doppelten Herausforderung: dem ökologischen und dem digitalen Wandel. Dieser Wandel wird uns alle betreffen, ganz gleich, wo und wie wir leben. Er wird die Art und Weise wie wir reisen, produzieren und konsumieren verändern. Er wird neue Chancen für die Innovatorinnen und Innovatoren, die Unternehmerinnen und Unternehmer und die Industrie in Europa eröffnen.

Ursula von der Leyen bei  einer Rede im Europarat am 12/13. Dezember 2019.
Ursula von der Leyen bei einer Rede im Europarat am 12/13. Dezember 2019. EU/Etienne Ansotte (Etienne Ansotte)

Der Wandel passiert jedoch in einer immer unruhigeren und komplizierteren Welt. Gerade sehen wir wieder, warum man sagt, dass in der Politik eine Woche eine lange Zeit sei. Ich war vor wenigen Tagen in Griechenland und Bulgarien, um mir vor Ort ein Bild davon zu machen, unter welchem Druck unsere Grenzen stehen, und um den beiden Ländern zu versichern, dass Europa ihnen solidarisch beisteht – sowohl im Geiste als auch mit finanzieller und technischer Unterstützung. Die Lage führt eindringlich vor Augen, dass wir einen humanen, wirksamen und ganzheitlichen Ansatz für die Migration finden müssen. Nur einen Tag davor war ich in unserem Krisenmanagementzentrum, wo wir uns darüber ausgetauscht haben, wie Europa helfen kann, das Coronavirus einzudämmen.

Eine Woche ist in der Politik eine lange Zeit

Diese Woche hat uns gezeigt, dass Europa in seinem Denken und Handeln und in seiner Kommunikation nach außen stärker, geeinter und strategischer auftreten muss. Wir müssen auch neue Partnerschaften und Allianzen schmieden, wie die mit Afrika, die wir in den kommenden Tagen besiegeln werden. Und wir müssen unsere bestehenden Partnerschaften stärken, wie wir es auf dem Westbalkan tun.

Beim ökologischen und digitalen Wandel in einer sich verändernden Welt will diese Kommission eine Führungsrolle übernehmen. Das ist die Aufgabe und die Chance unserer Generation. Darum sind wir seit dem ersten Tag fest entschlossen, schnell zu handeln, um ein faires und florierendes, grünes und digitales Europa zu schaffen, das wir unseren Kindern als dauerhaftes Erbe hinterlassen können.

Wenn es um die Zukunft unseres Planeten geht, birgt Zurückhaltung das größte Risiko. Deshalb haben wir den europäischen Grünen Deal als eine unserer ersten Maßnahmen auf den Weg gebracht. Sein zentrales Ziel ist es, Europa bis 2050 zum klimaneutralen Kontinent zu machen. Erst letzte Woche haben wir vorgeschlagen, dieses verbindliche Ziel in ein Gesetz zu gießen.

Natürlich geht es darum, die Natur wieder mehr zu achten und den Schadstoffausstoß zu senken. Aber der europäische Grüne Deal ist mehr als das – er ist unsere neue Wachstumsstrategie. Er wird Investoren Planungssicherheit geben und zu einem Wachstum beitragen, bei dem den Menschen, dem Planeten und der Gesellschaft mehr zurückgegeben als genommen wird.

Wenn wir schnell handeln, müssen wir auch darauf achten, dass niemand abgehängt wird. Wir wissen, dass manche vor größeren Veränderungen stehen als andere. Deshalb haben wir vorgeschlagen, 100 Milliarden Euro in einen gerechten Übergang für alle zu investieren, insbesondere für diejenigen, für die der Wandel besonders herausfordernd ist. Nur wenn die Menschen und die Fairness an erster Stelle stehen, kann sich der europäische Grüne Deal langfristig bewähren.

Letztendlich ist es eine Frage des Vertrauens, und das ist auch das Stichwort für unseren Ansatz beim digitalen Wandel. Ich glaube an Technologien und daran, dass sie unser Leben erleichtern können – vom Familienleben bis hin zur Kommunikation mit Freunden. Und ich weiß, sie können neue Arbeitsplätze und Kompetenzen schaffen und das Wachstum europäischer Unternehmen – vom kleinen Start-up bis zum Großkonzern – ankurbeln.

Aber wenn Europa Vorreiter im Digitalbereich sein soll, müssen wir nicht nur unsere eigenen Kompetenzen, sondern auch unsere eigenen Regeln weiterentwickeln. Europäische Innovationen und Technologien müssen weltweit wettbewerbsfähig sein. Dies steht im Mittelpunkt der neuen Datenstrategie. Mit ihr werden wir unsere Stärken ausspielen können. Sie wird Unternehmen und Regierungen Anreize bieten, ihre wertvollen Bestände an ungenutzten Daten zu teilen und gemeinsam zu verwenden. Und sie wird es uns erleichtern, künstliche Intelligenz optimal und auf vertrauenswürdige Weise einzusetzen.

Wir können die Chancen des doppelten Wandels nur dann voll ausschöpfen, wenn wir all unsere Stärken und unsere Vielfalt nutzen. Wir werden uns stets für Gerechtigkeit einsetzen, unsere Werte verteidigen und uns um die Dinge kümmern, die den Menschen wirklich am Herzen liegen. Aus diesem Grund haben wir auch eine neue Gleichstellungsstrategie vorgeschlagen und den Grundstein für einen europäischen Plan zur Krebsbekämpfung gelegt. 

In der Politik ist eine Woche tatsächlich eine lange Zeit. Aber 100 Tage sind gerade einmal genug, um eine Richtung vorzugeben und die ersten großen Schritte auf diesem Weg zu gehen. Der Weg wird steinig sein, und wir werden auf die Probe gestellt werden – wie in der vergangenen Woche. Aber wir müssen den Geist der neuen Generation Europas auf diesem Weg bewahren. Es ist ihre Zeit, und die Reise hat gerade erst begonnen.

Die Autorin

Ursula von der Leyen ist seit Dezember Präsidentin der EU-Kommission. Zuvor war sie Verteidigungsministerin und Vize-Bundesvorsitzende der CDU.

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