Viren und Sitten

So lasset uns nicht mehr die Hände reichen

Im Kampf gegen das Coronavirus erlahmt in Italien das soziale Leben, und Frankreich stellt das Händeschütteln ein. Hier ein vorsorglicher Abgesang.

Geschlossen, verschoben, abgesagt: Ein Virus befällt, in seiner Mutation als Sicherheitsmaßnahme, unser gesamtes soziales Leben. Wer an diesem Wochenende in Paris die Mona Lisa lächeln sehen wollte, wurde ebenso enttäuscht wie die zum Stadtmarathon Angereisten. Das Österreichische Kulturforum in Berlin lässt sein nächstes Kammerkonzert ausfallen, gewiss keine Massenveranstaltung. Die Regierungen in der Schweiz und in Japan untersagen bis auf Weiteres alles, was Menschen in größeren Mengen zusammenführt. Diktatoren könnten feuchte Augen bekommen: Das Versammlungsverbot, eine ihrer liebsten Waffen der Unterdrückung, gilt plötzlich als hoch respektabel, ja als erste Staatenpflicht.

In Europa gehen die viralen Vorkehrungen in Italien am weitesten – und geben dort Anlass zu tiefen Grübeleien: Was sagt es über unsere Zeit aus, wenn der Mailänder Dom keine spirituelle Zuflucht mehr bietet, aber das Kaufhaus Rinascente gegenüber seine Waren weiter feilbieten darf? Ist eine Trauung ohne Gäste noch eine richtige Hochzeit – oder besinnt man sich gerade bei ihr auf das, was wirklich zählt? Wie lang kommt eine Gesellschaft ohne Feste und Fußball aus, ohne Schaden zu nehmen? Und warum funktioniert Unterricht per Videostreaming, wogegen sich Lehrer und Professoren stets gesträubt haben, plötzlich klaglos? Eines muss man diesem Covid-19 lassen: Es zwingt uns, über Dinge nachzudenken, auf die wir sonst kaum gekommen wären.

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