Dichtung

Vom Platz des Himmlischen Friedens zur Literatur im Nebel

Der in Sichuan geborene Autor Liao Yiwu flüchtete 2011 aus China. Er lebt seither in Berlin.
Der in Sichuan geborene Autor Liao Yiwu flüchtete 2011 aus China. Er lebt seither in Berlin.Ali Ghandtschi
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Beim Festival im Waldviertel ist diesmal der von Chinas Regime verfolgte Autor Liao Yiwu zu Gast. Nach dem Tian'anmen-Massaker 1989 war er wegen seiner Kritik daran vier Jahre inhaftiert worden. Er tritt in Heidenreichstein unter anderem mit Nobelpreisträgerin Herta Müller auf.

Einmal im Jahr steht seit 2006 bei Literatur im Nebel in Heidenreichstein ein Dichter von Weltrang im Mittelpunkt. Diesmal wird es bei dem Festival im Waldviertel (am 27. und 28. März) nicht nur erlesen, sondern auch exotisch und höchst politisch: Zwei Tage lang dreht sich alles um den chinesischen Schriftsteller Liao Yiwu. Der frühere Kulturminister Rudolf Scholten, einer der Initiatoren des Festivals, schwärmt von ihm: „Er passt genau zu unserer Idee. Bei uns sind immer herausragende Autoren zu Gast, die auch außergewöhnliche Biografien haben. Das halten wir so, seit Salman Rushdie vor 14 Jahren nach Heidenreichstein kam, bis zu John Coetzee im Vorjahr.“

Vor zwei Jahren war Nobelpreisträgerin Herta Müller bei Literatur im Nebel. Ihr Ratschlag damals hatte Auswirkungen auf 2020: „Sie hat uns empfohlen, unbedingt Liao Yiwu einzuladen. Wir fanden ihn ebenfalls ideal. Ilija Trojanow hat ihn uns auch vorgeschlagen“, sagt Scholten. Diese beiden Autoren werden nun erneut in Heidenreichstein sein: „Herta Müller wird eine Rede auf Yiwu halten und mit ihm gemeinsam lesen, Trojanow wird mit ihm ein Gespräch führen. Und Yiwus Lektor Hans Balmes (beim Verlag S. Fischer, Anm.) ist ja auch schon fast ein Stammgast bei uns im Waldviertel.“

Die Werke des Ehrengastes, der 1958 in Sichuan auf die Welt kam und in bitterer Armut aufwuchs, wurden in seiner Heimat wegen der Kritik am kommunistischen Regime verboten. Yiwu kam 1987 auf eine schwarze Liste. Nach der brutalen Niederschlagung der Demonstrationen auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking 1989 wurde er verhaftet – wegen seines Gedichts über die staatliche Gewalttat, bei der Hunderte, möglicherweise sogar Tausende Menschen starben: „Massaker“. Yiwu wurde wegen „konterrevolutionärer Propaganda“ zu vier Jahren Haft verurteilt. Diese Zeit, geprägt von schweren Misshandlungen und Selbstmordversuchen, verarbeitete er im Buch „Für ein Lied und hundert Lieder“. (Es erschien 2011 auf Deutsch.) Freigelassen, blieb er durch das Regime geächtet, musste sich jahrelang mit Gelegenheitsjobs durchschlagen, u. a. mit Untergrundmusik. Streitbar schrieb er weiterhin kritische Literatur.

„Seine Texte gehen unter die Haut“

2009 wurde Yiwu weltweit bekannt durch den Interview-Band „Fräulein Hallo und der Bauernkaiser: Chinas Gesellschaft von unten“. 2011 konnte er nach Deutschland fliehen. Seither lebt er in Berlin. 2011 erhielt er auch den Geschwister-Scholl-Preis, 2012 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Zuletzt erschien 2019 auf Deutsch „Herr Wang, der Mann, der vor den Panzern stand“. Das Trauma lässt ihn nicht los.

Welche Werke Yiwus schätzt Scholten besonders? „Vordergründig ist ,Massaker‘ ein Schlüsselwerk von ihm, weil es für ihn persönlich so viel ausgelöst hat. Für wesentlich halte ich zudem, dass er Literatur schafft, die Dinge spürbar macht. Seine Texte gehen unter die Haut. Herta Müller hat einmal geschrieben, sie empfinde sich im Gesicht bloßfüßig. Das klingt widersinnig, dem Gefühl nach aber ist dieser Satz schlüssig. Bei Yiwu heißt es sinngemäß: Alle Donner in einem Augenblick.“ Könnte es sein, dass China gegen Literatur im Nebel diesmal Protest einlegt? Scholten: „Peking kann in London, Paris, Berlin oder New York intervenieren. Im Waldviertel würde man dazu sagen: Sollen sie es probieren! Sie werden dabei nicht gewinnen.“

Details zum Festival (27./28. März 2020, jeweils 17 bis 22 Uhr) unter www.literaturimnebel.at. Das Zweitagesticket kostet 30 Euro, das Tagesticket 20 Euro, die Busfahrt von und nach Wien pro Strecke 15 Euro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2020)

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