Türkei und Russland wollen Risiko einer direkten militärischen Konfrontation vermeiden.
Ankara/Moskau. Der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, reist am Donnerstag nach Moskau, um mit Präsident Wladimir Putin Möglichkeiten zur Entschärfung der Idlib-Krise zu bereden. Zuletzt wuchs die Gefahr, dass es im Kampf um die nordsyrische Rebellenprovinz zur direkten militärischen Konfrontation zwischen türkischen und russischen Streitkräften kommen könnte. Im Kreml hieß es, man wolle das Risiko eines Zusammenstoßes minimieren.
Erdoğan will von Putin dem Vernehmen nach die Zusage zu einer Pufferzone erreichen, um die türkische Grenze abzusichern: In dieser Zone sollen die Assad-Truppen nichts verloren haben. Putin stand bisher hinter dem Anspruch des Assad-Regimes, wieder die Kontrolle über das gesamte syrische Territorium zu erlangen.
Am Mittwoch wurden erneut zwei türkische Soldaten in Idlib getötet, die Türkei hat damit bereits 59 Gefallene zu beklagen. Das russische Militär warf der Türkei vor, dass ihre Beobachterposten in Idlib immer mehr mit Stellungen der Aufständischen verschmelzen würden. Die Truppenstärke der Türkei habe den Umfang einer mechanisierten Division erreicht, Ankara verletze dadurch das Völkerrecht.
Moskau wirft der Türkei vor, ihre militärische Präsenz in Syrien sei illegal – ganz im Gegensatz zur russischen Präsenz, die legitim sei, weil die Regierung in Damaskus Russland ja um Beistand gebeten habe. Nach russischer Interpretation kämpfen die türkischen Soldaten in Idlib Seite an Seite mit „Terroristen“.
Ankara unterstützt in der Rebellenprovinz die Islamistentruppe HTS (Salafi Hay'at Tahrir al-Sham), in deren Reihen auch 2000 bis 4000 Aufständische aus Russland und postsowjetischen Republiken kämpfen sollen. Präsident Putin erklärte bereits 2015, dass diese Kämpfer niemals in ihre Heimat zurückkehren dürften und es deshalb besser sei, sie in Syrien zu bekämpfen.
Genau deshalb gewährt Russland den syrischen Regimetruppen bei ihren Vorstößen zur Rückeroberung Idlibs massive Luftunterstützung. Verstärkt hat die Entschlossenheit der Russen noch, dass Anfang Februar vier russische Geheimdienstler in Idlib von protürkischen Kämpfern getötet worden sind.
Sanktionen gegen Russland?
Dass das russische Militär bei seinen Einsätzen an der Seite der Assad-Truppen „willkürlich“ Luftangriffe gegen Zivilisten fliegt und schwere Menschenrechtsverletzungen in Syrien begeht, hielt erst am Dienstag ein UN-Untersuchungsausschuss zu Syrien in einem Bericht fest. Der Kreml dementierte wütend.
Zur Beilegung des Syrien-Kriegs und der Flüchtlingskrise hat die deutsche Verteidigungsministerin, Annegret Kramp-Karrenbauer, am Mittwoch verstärkten Druck auf Russland mittels neuer Sanktionen ins Spiel gebracht. Schon der Ukraine-Konflikt habe gezeigt, dass man Russland nicht alles durchgehen lassen könne. (ag., b.b.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.03.2020)