Kinder mit Behinderung sind Teil unserer Gesellschaft

Sonderschullehrer Bernhard Seckl schreibt eine Replik auf den Gastkommenar von Katalin Darthe in der „Presse“.

Katalin Darthe beschreibt in ihrem Gastkommentar ("Die Presse“ vom 2.März 2020) ein Stück Schulwirklichkeit, wie wir sie in österreichischen Volks- und Mittelschulen vorfinden: Gewalt, Ausgrenzung, Mobbing gehören zum Schulalltag und wir Lehrer und Lehrerinnen stehen immer wieder vor neuen Situationen und Herausforderungen. („Jede Woche eine neue Welt“, wie ein Kollege zu scherzen pflegt.)

Das Ziel der Aggression sind oft die Schwächsten einer Gruppe, in Integrationsklassen auch Kinder mit einer Behinderung. Die Sonderschule, von einigen mit Klauen verteidigt, von anderen verdammt, ist zum Symbol für das mäßige Gelingen der Integration von Kindern mit Behinderung geworden. Sie ist der Rückzugsort, von dem auch Frau Darthe schwärmt, wo sich gleich und gleich zusammenfindet, wo Kinder mit ihren Schwächen und Behinderungen angenommen und gefördert werden.

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Die entscheidende Frage, die sich in Anerkennung dieses Befundes stellt, ist aber: Welche Schlüsse ziehen wir daraus? Wollen wir ein unterdotiertes System für gescheitert erklären und zu einem Stand vor 1990 zurückkehren – jeder sortenrein in seiner Schule? Die Gehörlosen in die Gehörlosenschule, die Übergewichtigen in die Mobbingopferschule, die geistig Behinderten in der Sonderschule  für Schwerstbehinderte? Echt jetzt? Im Jahr 2020?

Gehörlose in die Gehörlosenschule, Übergewichtige in die Sonderschule?

Das österreichische Parlament hat 2008 die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung ratifiziert und sich dazu verpflichtet, dass Menschen mit Behinderung gleichberechtigt mit anderen in der Gemeinschaft, in der sie leben, Zugang zu einer integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Bildung haben. Dass in Übereinstimmung mit dem Ziel der vollständigen Integration wirksame individuell angepasste Unterstützungsmaßnahmen in einem Umfeld, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet, angeboten werden. (Aus dem Artikel 24, UN-BRK).

Der Rechnungshof hat im Jahr 2019 die Umsetzung dieser UN-Konvention im Bildungsbereich eingemahnt und seitenweise konkrete Vorschläge dafür aufgelistet. Diese verstauben wahrscheinlich in einem Aktenschrank des Bildungsministeriums gleich neben den Best-Practice-Beispielen gelingender Integration.

Kinder mit Behinderung sind Teil unserer Gesellschaft. In meiner Klasse sitzen Flüchtlingskinder, Politiker- und Kabarettistenkinder, adoptierte Kinder, Pflegekinder, Kinder mit Down Syndrom und Epilepsie. Und das funktioniert nicht deshalb, weil wir sie in dieser Zusammensetzung zufällig in eine Klasse gesperrt haben, sondern weil wir im Unterricht sehr regelmäßig emotionale Themen mit den Kindern bearbeiten. Mobbing und Gewalt werden ebenso besprochen wie Familienkonstellationen, Familiensprachen, Herkunftsländer oder Behinderungen. Ich erlebe jeden Tag, dass Kinder gut mit dieser Diversität umgehen können, wenn sie dabei begleitet werden. Und ich sage nicht, dass es dabei keine Rückschläge gibt.

Bernhard Seckl.
Bernhard Seckl. Beigestellt

Es gibt viel zu tun im Bereich der Integration von Kindern mit Behinderung. Es geht dabei um Haltungen und Ressourcen. In den Budgets der Länder klafft ein Loch: Finanzmittel stehen exakt für 2,7% der Kinder mit Förderbedarf zur Verfügung. Dem gegenüber benötigen 5 bis 7 Prozent tatsächlich intensive Förderung. Die räumlichen und personellen Ressourcen in Integrationsklassen sind daher seit 20 Jahren Gegenstand von Einsparungen.

Fangen wir doch heute an, das System zukunftstauglich zu machen, damit es wenigstens für die nächste Generation selbstverständlich ist, einen Kollegen, Nachbarn oder Freund zu haben, der ein bisschen von der Norm abweicht.

Der Autor

Bernhard Seckl, Sonderschullehrer seit 1997, davon 13 Jahre in Integrationsklassen, Mitbegründer des Down-Syndrom-Kompetenzzentrums für Lehrer*innen in Wien

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