Schädlicher Corona-Aktivismus in Brüssel

Ein Sonderministertreffen jagt das nächste, das EU-Parlament hält stur an der massenhaften Anreise nach Straßburg fest. Das erhöht das Risiko, das Virus noch schneller zu verbreiten.

Am Mittwoch wurde das logisch Erwartbare bestätigt: die ersten Infektionen mit dem Coronavirus innerhalb der EU-Institutionen. Ein Mitarbeiter der Europäischen Verteidigungsagentur wurde positiv getestet, gab das Sekretariat des Rates der EU bekannt - und bestätigte kurz darauf einen zweiten Fall, und zwar den eines Ratsmitarbeiters, der mit dem ersten Patienten in Kontakt gewesen war. Das dürften nicht die letzten Ansteckungen innerhalb der weitläufigen Büroräumlichkeiten des Rates sein: der erste Patient war am 23. Februar aus einer der am stärksten betroffenen italienischen Regionen zurückgekehrt. In den zwei Wochen seither wird er mit unzähligen Menschen Kontakt gehabt haben - im Rat, aber wohl auch in der Europäischen Kommission. Hat er die öffentlichen Verkehrsmittel benutzt? Kaffee getrunken oder zu Mittag gegessen in einem der Lokale im EU-Viertel, welches vom Personal der Institutionen frequentiert wird? Wir wissen es nicht. Anzunehmen ist es.

Die verantwortungsvolle Vorgangsweise wäre es, bis auf Weiteres sämtliche Anlässe mit einer Großzahl an Teilnehmern zu verschieben. Die Verteidigungsagentur tut dies. Bis 13. März gibt es keine Sitzungen und sonstigen Treffen in ihren Amtsräumlichkeiten oder außerhalb. Ihre Mitarbeiter werden so lange auch keine externen Termine wahrnehmen. Diese Entscheidung fuße auf „Anleitungen, die vom EU-interinstitutionellen medizinischen Beirat empfangen wurden", teilte die Agentur mit. Medizinische Expertise, die man im Rat und bei den nationalen Regierungen offenbar für unwichtig hält: ein Sonderministertreffen jagt das nächste. Am Mittwochabend waren es die Innenminister, am Freitag kommen die Gesundheitsminister. Es gab seitens einiger Regierungen (dem Vernehmen nach vor allem jener Italiens) sogar den Wunsch, einen „Jumbo-Rat" mit den Gesundheits- und Innenministern zu organisieren. Das wären, bei voller Anwesenheit, 54 Minister gewesen, samt einer Vielzahl von Stabsmitarbeitern. Was man da sinnvoll hätte besprechen oder gar beschließen können, ist schleierhaft. Auch, wieso man sich nicht via Videokonferenz austauscht. Die Eurogruppe der Finanzminister tat dies, wie schon öfters, am Mittwoch.

Für das Virus hingegen ist dieser Brüsseler Aktionismus wunderbar. Lauter vielreisende, gestresste Politiker, die wohl keine Zeit haben, sich nach jedem Naseputzen die Hände mindestens 40 Sekunden zu waschen (so empfiehlt es der medizinische Dienst des Rates). Politiker, deren Job es auch mit sich bringt, ganz viele Hände zu schütteln - was man in der derzeiten Lage auf keinen Fall tun sollte. Prachtvolle Bedingungen schafft insofern auch das Europaparlament, das sich (auf Druck der französischen Abgeordneten so gut wie aller Fraktionen) nicht davon abhalten lassen dürfte, nächste Woche in Straßburg zu tagen. Gibt doch ohnehin noch keine Fälle dort, argumentiert man. Die sinnlose Massenanreise von Abgeordneten und deren Mitarbeiter aus der nun nachweislich Corona-positiven Brüsseler EU-Blase könnte das rasch ändern. Und sie ist gleich doppelt grotesk: denn Frankreichs Regierung hat erst am Wochenende die Absage aller Veranstaltungen mit mehr als 5000 Teilnehmern verordnet.

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