Premiere

Häusliches Drama in Zeiten der Überwachung

In der Drachengasse wurde „Der öffentliche Raum“ von Ulrike Syha uraufgeführt, für das sie den Hamburger Literaturpreis erhielt. Ein Negativ-Szenario. Bedrohlich wirkt die Inszenierung aber nicht.

Man stelle sich vor, da will einer ins Theater, aber ehe der Abend beginnt, wird er bereits aus dem Kassenraum geführt. Das kann Besuchern in Wien derzeit in der Drachengasse passieren. Wer die Karten abgeholt hat, kriegt einen Sticker dazu, der sichtbar an die Kleidung geklebt werden soll. Circa die Hälfte der Besucher wurde bei der Premiere von Ulrike Syhas „Der öffentliche Raum“ mit dem roten Zeichen markiert, eine schwarz gekleidete Security-Mitarbeiterin bat sie per Megafon nach draußen. An der Hintertür des Theaters wartete eine zweite Uniformierte, mit Schlagstock und getönten Brillen. Das sollte wohl Respekt einflößen.

Die Zuschauer werden in den Saal gelotst, der geteilt ist. Vor der Tribüne nur eine schmale Bühne: Gummibaum, Bank, Barhocker, Staubsauger-Roboter, Kopfhörer an der Wand. Und ein Schild: „Run Forest Run!“ Geräusche lassen ahnen, dass hinter einer Schiebewand mit einer Durchreiche die andere Hälfte des Publikums sitzt. Wie in Platons Höhlengleichnis bekommt man nur einen begrenzten Teil fiktiver Wirklichkeit zu sehen. Ein Alarm geht los. Die Security deklamiert im Chor (man hört es auch von der anderen Seite): „Bitte, bewahren Sie Ruhe, die Lage ist stabil.“ Sanft aber bestimmt wird man in dieser Inszenierung von Sandra Schüddekopf auf ein Stück eingestimmt, das von Überwachung handelt, Neuen Medien und den Nöten einer Kleinfamilie. Ist es Zufall, auf der Seite des Mannes zu landen? Wurde auch das manipuliert?

Thomas Kamper spielt den Ehemann. Er erzählt von seiner Frau, die ihren Job verloren hat, von einem „Vorfall“. Warum redet erso laut? Auch die andere Seite soll informiert werden! Deutlich hört man zugleich seine Frau (Zeynep Buyraçs) hinter der Wand. Die Tochter aus erster Ehe (Ylva Maj) taucht auf, sie will demonstrieren gehen. Für den Wald. Schließlich wechselt das Paar die Seiten. Nach und nach erfährt man vom Schicksal der Familie. Er träumt vom Aufstieg, gerät in rechtsextreme Kreise, die Gattin verirrt sich mehr und mehr im Netz. Dort herrscht ein Anonymus mit Roboter-Stimme. Auf Videos an der Schiebewand sieht man, wie Botschaften getippt werden und die Frau surft. Durch die Durchreiche und schließlich auch durch einen Spalt in der Wand ist zum Teil zu erkennen, was drüben passiert.

Das häusliche Drama ist schlicht inszeniert, bedrohlich wirkt das Negativ-Szenario nicht, obwohl das fünfköpfige Ensemble konzentriert und engagiert spielt. Dem Text fehlt ein wenig Schärfe, es mangelt an starken Überraschungen. Ja, wir stehen alle unter Beobachtung, die Arbeitswelt kann grausam sein, die Jugend rebelliert für eine bessere Welt. Was hier aber heimliche Verabredungen sollen, ob es um ein Attentat oder seine Verhinderung geht, bleibt vage. Die Lage: stabil im Diffusen. Selbst wenn am Ende Anonymus behauptet, er sei einer von uns, beunruhigt das nicht sonderlich. Gut gemacht, aber nicht mit letzter Konsequenz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2020)

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