Citytrip Bremen

Norddeutsche Häuschen, aufgereiht wie auf einer Schnoor

Originale Fachwerkhäuser im Schnoor-Viertel in Bremen.
Originale Fachwerkhäuser im Schnoor-Viertel in Bremen.Doris Mittner
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Bremen. „Hamburgs kleine Schwester“ ist ein fast märchenhaft anmutendes Städtchen, das so gar nichts mit der mondänen Elbmetropole gemein hat.

Die elftgrößte Stadt Deutschlands und gemeinsam mit Bremerhaven gleichzeitig das kleinste Bundesland Deutschlands präsentiert sich historisch und trotzdem modern, intim und dennoch weltoffen. Der in der ersten Hälfte des 13.Jahrhunderts entstandene St.Petri Dom lockt ebenso viele Besucher nach Bremen wie die ultramoderne Produktionsstätte der Airbus Defence & Space. Das historische Stadtbild wird von den eng aneinandergeschmiegten schlanken Fachwerkhäuschen mit Stufengiebeln rund um den Marktplatz geprägt. Das Bremer Rathaus gleich gegenüber gehört mit der fast sechs Meter hohen aus Kalkstein erbauten Roland-Statue zum Unesco-Kulturerbe. Das um 1405 errichtete Bauwerk mit der pittoresken Fassade im Stil der Weser-Renaissance birgt in seinem Keller Raritäten von unschätzbarem Wert. Nein, keine Kronjuwelen, keine Grab-Gruften. Seit 600 Jahren wird hier Weinkultur gepflegt. Nicht nur die Ausschank ausschließlich edler deutscher Kreszenzen in den darüberliegenden Gastronomiesälen, sondern auch die fachgerechte Lagerung von 1200 Sorten aus verschiedenen Jahrgängen haben den Bremer Ratskeller zu einer Institution für Weinliebhaber gemacht.

Eine Führung durch das Labyrinth verspricht Genuss in jeglicher Form. Unter optimalen Bedingungen lagern hier allein über 200 verschiedene Trockenbeeren-Auslesen. Im Apostel- und Rosekeller ruhen bei Kerzenlicht die ältesten Fassweine Deutschlands. Absolutes Glanzlicht unter den Raritäten ist der Rüdesheimer Rosé aus dem Jahr 1653. Auf der ständigen Suche nach neuen und vor allem außergewöhnlichen Geschmackserlebnissen verkostet Ratskellermeister Josef Krötz jährlich rund 3000 deutsche Weine des neuen Jahrgangs. Doch nur den besten 150 Erzeugnissen wird das Prädikat „Bremer Ratskeller“ verliehen.

Die Stadtmusikanten berühren

An der Westseite des Rathauses lockt die bekannte Darstellung der Märchenfiguren der Gebrüder Grimm. Wer sich wundert, dass die Bronze-Plastik der Bremer Stadtmusikanten von Gerhard Marcks aus dem Jahr 1951 an zwei Stellen besonders abgegriffen erscheint, muss wissen: Wer beide Vorderbeine des Esels gleichzeitig berührt, hat einen Wunsch offen. Stadtführerin Sabine Kämerow beeilt sich zu erwähnen, dass viele für die Erstellung eines Selfies nur ein Bein berühren. Was in Sachen Wunscherfüllung natürlich problematisch ist.

Von Esel, Hund, Katze und Hahn genießen die Touristen den Blick auf die Nordwestseite des Marktplatzes mit seinen Giebelhäusern im Renaissancestil. Die historisch anmutenden schlanken Bauten entstanden aber im 20.Jahrhundert und faszinieren durch ihre prächtig verzierten Fassaden in Weiß, Gelb oder Braun. Besonders auffällig ist die verschiedenartige Gestaltung der Dachgiebel, die einmal eckig stufig, dann wieder mit stufigen Rundbögen oder mit Goldornamenten geschmückt sind. Die stets kleinen Fenster im obersten Giebeldrittel zeugen von einer Bewohnbarkeit bis in die höchsten Stockwerke.

Bremens heimliche Hauptstraße im Schnoor-Virtel

Klimahaus in Bremerhaven.
Klimahaus in Bremerhaven.Doris Mittner

Wer Original-Fachwerkhäuser aus früherer Zeit sehen will, der schlendert die „heimliche Hauptstraße Bremens“, die Böttcherstraße hinunter zur Weser und passiert das vergoldete Relief Lichtbringer, das Paula Modersohn-Museum, das Roselius-Haus und das Glockenspiel aus Meißener Porzellan. In dem 110 Meter langen Gesamtkunstwerk zwischen Art déco und Backsteinbau lebten und werkten früher die Böttcher. Ein Stück flussabwärts lockt das Schnoor-Viertel. Die schmalen, meist nur zwei Fenster breiten Häuschen aus dem 15. und 16. Jahrhundert sind wie Perlen auf einer Schnur (Schnoor) dicht aneinandergereiht und bilden das älteste Viertel der Stadt. Viele betonen auch, dass dieses Quartier seine Bezeichnung dem alten Schiffshandwerk mit seinen zahlreichen Berufen und Produkten verdankte. So gab es einen Bereich, in dem Seile und Taue hergestellt wurden, und einen benachbarten Bereich, in dem Draht und Ankerketten gefertigt wurden.Heute versuchen hier trendige Shop-Betreiber zu überleben – Kunsthandwerks-, Goldschmied- sowie Modeläden kämpfen um die Gunst der Touristen, dazwischen bieten nette, kleine Cafés Stärkung an. Die schmalste Gasse, die eine Mutter mit Kinderwagen vergeblich zu passieren versucht, ist nur ein paar Zentimeter breit. Kurz vor der Engstelle fällt das wahrscheinlich kleinste Hotel der Welt auf: das Bremer Hochzeitshaus. Übernachtungen sind hier mittlerweile ein heiß begehrtes Geschenk für Frischvermählte. Es bietet zwei Gästen auf etwa 48 Quadratmeter verteilt auf drei Etagen alles, was das Herz begehrt. Mehr haben hier nicht Platz.

Fachwerk-Häuser und die Schlachte

Die Geschichte des kleinen Fachwerkhauses im Bremer Schnoor ist typisch für mittelalterliche deutsche Städte. Diese Hochzeits-Häuser wurden für einige Nächte an junge Paare vermietet, die vom Land in die Stadt kamen, um im Dom zu heiraten. Denn wer hier heiraten wollte, der musste nachweisen, dass er sich in dieser Stadt eine eigene Wohnung leisten konnte. So entstand die Tradition, Wohnungen für kurze Zeit an Paare zu vermieten.

Direkt am Weserufer verführt abends die Uferpromenade „Schlachte“ mit vielfältiger Gastronomie. Historische und moderne Schiffe ankern den Kai entlang der Promenade. Im Sommer locken die Biergärten und Schiffe mit Blick aufs Wasser.

Bremerhaven ist rund 40 Bahnminuten von der Hansestadt entfernt. Die bereits auf 113.000 Einwohner angewachsene Stadt liegt am Westrand des Elbe-Weser-Dreiecks, das etwa 60 Kilometer weiter bereits in die Nordsee übergeht. Durch die Trichtermündung der Weser hat man beim Spaziergang am Deich den Eindruck, als würde man bereits am Meer entlangschlendern. Von dort aus bietet sich auch ein atemberaubender Blick auf die Gebäude, die sich an der Küste aneinanderreihen. Etwa das wie ein Segel gebautes Atlantic Hotel Sail City. Oder das als „bauchiges Schiff“ gebautes Klimahaus 8° Ost, das vor allem in der Dunkelheit durch Tausende kleine Lichter rund um das Gebäude eine beeindruckende Skyline zaubert. Dort machen die Besucher eine Reise um die Welt entlang genau jenes Längengrades, auf dem Bremerhaven liegt.

Per Bus durch die Hafenwelt

Während der Tour erlebt man bei der Durchquerung von fünf Kontinenten und neun Orten wie Isenthal in der Schweiz, Satitoa auf Samoa oder Gambell in Alaska die verschiedenen Klimazonen der Erde. Schwitzen, frieren, staunen und lachen ist angesagt, wenn man Menschen aus aller Welt „trifft“, die von ihrem Alltag erzählen, wie das vorherrschende Klima ihre Leben beeinflusst.

Unvorstellbare Dimensionen hat der Überseehafen Bremerhavens, der zu den führenden Auto-Drehscheiben Europas zählt. Eine Hafenrundfahrt per Bus macht die Ausdehnung und Größe deutlich. Guides bringen die Gäste in den Zollbereich und direkt zum Container-Terminal, der Sperrgebiet ist – nur der Bus darf rein. Guide Manuela nennt ein paar Zahlen: „2,3 Millionen Autos und eine Million Tonnen Schwerlastgüter werden hier umgeschlagen. 95.000 Pkw, davon 50.000 unter Dach, finden hier gleichzeitig Platz. Bremerhaven ist somit der größte Auto-Umschlaghafen Europas.“ Mit weit über 100.000 Stellflächen ist der Hafen auch der größte Parkplatz Europas.

CONTAINER SCHAUEN

Flug: Seit Dezember 2019 gibt es mit Wizzair eine Direktverbindung von Wien nach Bremen
Kulinarisches Erlebnis: „Küche 13“ im „Viertel“
Bremerhaven: Hier werden 5.5 Millionen Standardcontainer umgeschlagen. Damit ist das fast drei Millionen Quadratmeter große zusammenhängende Gelände der viertgrößte Containerumschlagplatz Europas. Nur zum Vergleich: Das entspricht einer Fläche von 360 Fußballfeldern, bzw. Monaco. Doch nicht nur der Frachtbereich ist hier von Bedeutung - 2018 wurden in Bremerhaven auch 245.000 Kreuzfahrtschiff-Passagiere abgefertigt – die meisten davon besuchen auch Bremen. 

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2020)

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