Nachdem er in Moskau eine Waffenruhe für Idlib ausverhandelt hat, scheint der türkische Präsident Erdoğan vorerst einzulenken: Der Seeweg nach Griechenland soll für Migranten gesperrt werden.
Eine Woche nach Beginn des Menschenansturms auf die griechische Grenze aus der Türkei hat der Druck dort offenbar nachgelassen. Zwar gab es am Freitag wieder Zusammenstöße zwischen Migranten und griechischen Grenzschützern am Grenzübergang Pazarkule, doch sanken die Zahlen der Migranten gegenüber den vergangenen Tagen deutlich. Auch in der Ägäis entspannte sich die Lage, nachdem Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan die Behörden anwies, den Seeweg zu sperren. Die Landgrenze soll nach seinen Worten zwar auf türkischer Seite dauerhaft offen bleiben. Doch unter den Menschen spricht sich inzwischen offenbar herum, dass dies keine freie Fahrt nach Europa bedeutet, weil die griechische Grenze geschlossen bleibt.
In Istanbul warteten Nachzügler vergeblich auf die Busse, die seit Freitag vergangener Woche mit Migranten an die Grenze nach Edirne gependelt waren. In der Ägäis kamen in den 24 Stunden bis Freitagmorgen nach griechischen Medienberichten nur noch 58 Personen auf den Inseln an, nachdem das UNHCR in den vorangegangenen Tagen noch mehr als 600 pro Tag gezählt hatte. Wartende Flüchtlinge an der türkischen Küste berichteten der türkischen Zeitung „Evrensel“, die türkische Küstenwache hindere sie an der Überfahrt. Hintergrund ist offenbar eine Anweisung Erdoğans, die Bootsmigranten zu stoppen. Der Präsident rufe ihn täglich an, um darauf zu dringen, sagte Innenminister Süleyman Soylu.
Die Landgrenze zu Griechenland solle dagegen geöffnet bleiben, sagte Erdoğan auf dem Rückflug aus Moskau, wo er am Donnerstag mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eine Waffenruhe für Idlib ausgehandelt hatte. „Wir haben keine Zeit, mit Griechenland darüber zu diskutieren, ob die offene Grenze jetzt wieder geschlossen wird – das ist vorbei“, sagte Erdoğan. „Wir haben das Tor jetzt geöffnet, die Flüchtlinge gehen, soweit sie das können; wir werfen sie nicht mit Gewalt aus dem Land.“
Doch in arabischen Chatgruppen von Migranten verbreiteten sich Fotos verletzter Menschen, die von griechischen Polizisten zurückgeschoben wurden, und Videos von Zusammenstößen an der Grenze. Waren die Menschen in den ersten Tagen noch im Glauben gekommen, dass der Weg nach Europa offen sei, so hat es sich inzwischen herumgesprochen, dass die türkische Grenzöffnung keine Einreise in die EU sichert.
EU-Minister fordern Zugang für Helfer
Die EU-Außenminister berieten am Freitag über die Lage an der türkisch-griechischen Grenze und in Nordsyrien. „Die Situation an der Außengrenze der EU ist inakzeptabel“, hieß es in der Stellungnahme der Außenminister. Zugleich forderten sie die Konfliktparteien in Nordsyrien auf, Zugang für humanitäre Helfer zu gewährleisten. Die EU-Kommission versprach weitere 60 Millionen Euro für die Bevölkerung in Nordwestsyrien.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2020)