Europäische Union. Just während des Krisentreffens der Gesundheitsminister wird in deren Tagungsgebäude ein weiterer Fall bekannt. Botschaftersitzungen werden abgesagt, das Europaparlament fährt auf Sparflamme.
Brüssel. Sollten die 27 EU-Gesundheitsminister nach einem Beispiel für die Dringlichkeit des Kampfes gegen das Coronavirus gesucht haben, wurden sie am Freitag im eigenen Brüsseler Tagungsgebäude fündig: Der Test eines Beamten des Ratssekretariates ergab ein positives Ergebnis. Weil er vorige Woche während Sitzungen der EU-Botschafter der Mitgliedstaaten in engem Kontakt mit deren Vorsitzender, der kroatischen Botschafterin Irena Andrassy, gewesen war, begab Andrassy sich in vorbeugende zweiwöchige Quarantäne. Die für Freitag angesetzte Sitzung der Botschafter, bei der die wichtigsten aktuellen politischen Fragen der Union hätten erörtert werden sollen, wurde abgesagt.
Währenddessen offenbarten die Gesundheitsminister bei ihrem bereits zweiten Sondertreffen in Sachen Coronavirus, dass es derzeit keinen gemeinsamen Willen gibt, dieses grenzüberschreitende Gesundheitsproblem angemessen zu lösen. Trotz Appellen der Gesundheitskommissarin, Stella Kyriakides, an die Solidarität der Mitgliedstaaten, hielten Frankreich und Deutschland an ihrem Exportverbot für Schutzmasken fest. Litauen und Tschechien haben ebenfalls Ausfuhrbeschränkungen für diese weltweit knapp werdenden Artikel verfügt. Belgiens Gesundheitsministerin, Maggie de Block, nannte diese Maßnahmen „paradox“. Ihr österreichischer Amtskollege, Rudi Anschober, kritisierte die Exportbeschränkungen ebenfalls. „Das ist aus meiner Sicht ein Problem und nicht die Entwicklung, die ich mir wünsche.“ Jedes Ausfuhrverbot führe zu Kettenreaktionen in anderen Staaten.
Keine Hilfe für Italien
Nicht einmal Italien, der in der EU am härtesten vom Ausbruch des Virus getroffene Mitgliedstaat, darf sich vorerst Hilfe bei der Versorgung mit Schutzmasken erwarten. Das zeigt die rasante Gesinnungsänderung der nationalen Regierungen: Noch vorletzte Woche war Italien einer jener fünf EU-Staaten gewesen, die mehr als 30,5 Tonnen an Schutzbekleidung an China gespendet hatten.
Ob der Brüsseler Sitzungs-Aktivismus sinnvoll ist oder eher zur Verbreitung des Erregers beiträgt, wird auch auf Ministerebene thematisiert: „In Zeiten wie diesen weiß ich nicht, ob wir die Treffen so machen sollten“, sagte Anschober. Immerhin debattierten sie erstmals, wie sich die Produktion von Arzneimitteln und medizinischem Material aus Fernost, vor allem aus China, wieder nach Europa verlagern lassen könnte.
Auch das Europaparlament ist in seiner Tätigkeit durch die Epidemie zusehends eingeschränkt. „Die Presse“ erfuhr aus mehreren politischen Gruppen, dass von Tag zu Tag mehr und mehr Assistenten und sonstige Mitarbeiter in verpflichtende zweiwöchige Quarantäne geschickt werden. Dort können sie nur Telearbeit betreiben, was ihre Produktivität reduziert. Ob es eine zentrale Statistik über die Quarantänefälle gibt, konnte das Parlament bis Redaktionsschluss der „Presse“ nicht beantworten. (GO)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2020)