Die italienische Regierung hat ein Viertel der Bevölkerung unter Quarantäne gestellt. Bis zum 3. April gilt - mit Ausnahmen - ein grundsätzliches Ein- und Ausreiseverbot. Die Verunsicherung in der Bevölkerung ist groß.
Wegen der Coronavirus-Epidemie stehen in Italien nun rund ein Viertel der Bevölkerung unter Quarantäne. Die Regierung in Rom erließ am Sonntag ein grundsätzliches Ein- und Ausreiseverbot für Gebiete in Norditalien mit insgesamt mehr als 15 Millionen Einwohnern, zu denen auch die Wirtschaftsmetropole Mailand und der Touristenmagnet Venedig gehören.
Wie Italiens Regierungschef Giuseppe Conte via Twitter mitteilte, gilt die in Europa beispiellose Quarantäne für große Teile Norditaliens von Sonntag an bis zum 3. April. Ausnahmen bei dem grundsätzlichen Ein- und Ausreiseverbot sind nur aus nachgewiesenen dringenden beruflichen oder familiären Gründen und in gesundheitlichen Notfällen möglich.
„Morgen wird alles anders"
Für die Betroffenen in der Sperrzone in Italien ändert sich das Leben komplett. "Ich glaube nicht einmal in Kriegszeiten oder während des Terrors hat es so starke Restriktionen für das Leben den Menschen gegeben", sagt Andrea Cortesi, der mit seiner Familie in der norditalienischen Stadt Reggio Emilia lebt, am Sonntag gegenüber der APA am Telefon.
In den seit Sonntag abgeriegelten italienischen Provinzen herrscht große Ungewissheit. "Wir versuchen gerade zu verstehen, was das konkret bedeutet und wir haben überhaupt keine Ahnung, was morgen passieren wird", sagt der 44-Jährige. Bisher hat sich unser Leben nur wenig geändert, "aber ich denke morgen wird alles anders, unser Leben wird sich zu 90 Prozent verändern". Die Familie bleibt zu Hause oder geht spazieren, "aber nicht an dahin, wo viele Leute sind". Die Kontakte beschränken sich auf die Familie, Freunde treffen sie keine mehr.
"Den Einkauf bestellen wir über das Internet, damit wir nicht in den Supermarkt müssen", erzählt Cortesi. Aber erst Montagfrüh werde sich herausstellen, was die neuen Regeln wirklich bedeuten. "Die Botschaft der Regierungsmaßnahmen war klar: Wir müssen unsere Lebensweise komplett ändern", meint der 44-jährige Angestellte.
„Wir sind nicht im Krieg"
Am Sonntag wurden mehrere Supermärkte in der Lombardei aus Sorge bestürmt, es könnte zu Problemen bei der Warenlieferung kommen. Der italienische Handelsverband Confcommercio forderte die Italiener auf, dies zu unterlassen. Die Belieferung der Supermärkte sei garantiert. Menschenansammlungen in den Supermärkten seien aus Gründen der öffentlichen Gesundheit zu vermeiden. Viele Supermärkte würden auch Einkäufe in die Wohnung liefern.
"Die Supermärkte sind voll mit Waren und ständig offen. Wir sind nicht im Krieg, sondern wir bekämpfen eine Infektion", sagte der lombardische Präsident, Attilio Fontana, im Interview mit dem TV-Sender "Sky Tg24". "Wenn die Menschen auf beruflichen Gründen reisen müssen, können sie es tun. Auch die Waren verkehren nach Plan", versicherte Fontana.
Veranstaltungsverbot
Das Dekret der italienischen Regierung sieht auch ein Verbot aller kulturellen, sportlichen und religiösen Veranstaltungen vor. Museen, Kinos, Theater, Diskotheken, Tanzschulen und ähnliche Einrichtungen müssen vorerst ebenso schließen wie Wintersport-Stationen. Die Schulen und Universitäten sind bereits seit Donnerstag in ganz Italien geschlossen.
Bars und Restaurants dürfen in den Quarantänegebieten nur ihren Betrieb fortsetzen, wenn ein Mindestabstand zwischen den einzelnen Gästen und Mitarbeitern von einem Meter eingehalten wird. Diese Regelung betrifft auch religiöse Orte wie Kirchen, Zeremonien wie Taufen oder Hochzeiten müssen verschoben werden.
Das Dekret gilt für die gesamte Lombardei, einen Teil der Region Venetien, den Norden der Emilia-Romagna und den Osten des Piemont. Betroffen sind damit rund ein Viertel der 60 Millionen Einwohner Italiens. Allein in der Lombardei leben zehn Millionen Menschen, davon knapp 1,4 Millionen in Mailand. Die Region ist das wirtschaftliche und industrielle Herz Italiens.
„Verrücktheit"
Das Notfalldekret hatte Conte in der Nacht auf Sonntag unterschrieben, war jedoch schon vorab von der italienischen Presse geleakt worden und hatte in einigen der betroffenen Regionen Proteste ausgelöst. Der Präsident der Region Venetien, Luca Zaia, forderte in einem offiziellen Brief an Ministerpräsident Conte die Rücknahme des Notdekrets. Er sei vorab nicht über diese Maßnahme informiert gewesen. Der Bürgermeister von Asti, Maurizio Rasero, bezeichnete den neuen Erlass als "Verrücktheit" und ungerechtfertigt, die Lage sei in seiner Provinz unter Kontrolle. Auch Mario Conte, Bürgermeister aus Treviso, beteuerte in einer TV-Liveschaltung, dass er von nichts gewusst habe.
Mit rund 5900 nachgewiesenen Infektionen und mehr als 230 Toten ist Italien das am schwersten von der Epidemie betroffene Land Europas. Am Samstag begann die Regierung damit, Ärzte aus dem Ruhestand zu holen. Insgesamt sollen 20.000 neue Mitarbeiter für das Gesundheitssystem rekrutiert werden, vor allem Krankenschwestern und -pfleger.
Einige tausend Österreicher in Norditalien
Einige tausend Österreicher halten sich derzeit in den unter Quarantäne gestellten Roten Zonen Norditaliens auf. "Wir schätzen, dass in der Nacht bereits zahlreiche Personen aus den sogenannten Roten Zonen zurückgekehrt sind", sagte Peter Guschelbauer, Sprecher des Außenministeriums, am Sonntag.
Trotz der Reisebeschränkungen glaube man, dass Menschen, die in den unter Quarantäne gestellten Regionen ihren Wohnsitz haben, zurückkehren können, wenn sie außerhalb weilen. "Wir haben unsere Reiseinformationen aktualisiert und alle Auslandsösterreicher bzw. bei uns registrierten Reisenden via SMS und Mail informiert", sagte Guschelbauer.
Ein Auslandsösterreicher, der in der Region Lombardei lebt, hält die Maßnahmen im Gespräch mit der APA "für richtig". Die Frage sei nur, "wie weit sich die Bevölkerung daran hält". Der Auslandsösterreicher und seine Frau befinden sich schon seit Tagen "in freiwilliger Quarantäne", wie er am Telefon erzählt. "Wir sind ja umgeben von Risikofaktoren", betonte der Pensionist. Lebensmittel lasse er sich liefern: "Die Zustellung ist ganz gut organisiert.“ Das Leben in Quarantäne sei aber durchaus stressig, "man versucht sich ja laufend zu informieren".
Betreffend der neuen Vorordnungen sagte der Pensionist, es sei noch nicht ganz klar, was diese bedeuten: "Ob etwa auch Geschäfte zugesperrt werden müssen. Bars sind vorerst bis 18.00 Uhr offen und man muss einen Sicherheitsabstand von einem Meter einhalten."
WHO begrüßt „mutigen“ Schritt
Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat die drastischen Quarantäne-Maßnahmen in Italien gegen die Ausbreitung des Coronavirus begrüßt. Diese seien "mutig" und erforderten "wirkliche Opfer", betonte WHO-Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesus am Sonntag im Online-Dienst Twitter.
"Die Regierung und die Menschen in Italien ergreifen gewagte und mutige Maßnahmen, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verlangsamen und um ihr Land und die Welt zu schützen", sagte der WHO-Chef.
(APA/AFP)