Azmari: Äthiopische Sänger-Poeten zwischen Unterhaltung und Sozialkritik

Eine Kombination aus sozialkritischem Kabarett, humoristischer Improvisation und der Thematisierung von gesellschaftsrelevanten Themen, liefern Azmaris während ihrer musikalischen Auftritte.

Addis Abeba, Äthiopien. Weiße Kleider, die im hellen Licht der Scheinwerfer erstrahlen. In der Mitte der Tanzfläche eine junge Frau. Ihre Füße bewegen sich im Takt der Musik. Ihre hypnotisierende Stimme wird von der Masenqo begleitet. Nicht sie ist es, die die einsaitige Violine gefühlvoll zupft, sondern eine junger Mann. Dieser vervollständigt ihren Gesang nicht nur mit Musik sondern auch mit seiner rauen Stimme. Schauplatz des Auftritts ist ein azmari-bet, ein Club für Azmaris und deren Publikum.

Die Musik der Azmaris unterscheidet sich stark von bekannten „afrikanischen" Rhythmen. Der Gesang gleicht einer gesungenen Konversation. Die Texte werden oft im Moment des Auftritts kreiert. Die Quelle der Improvisation stellt oft das Publikum selbst dar. So kommt es nicht selten vor, dass ein Gast plötzlich zum Gegenstand eines Liedes wird. Eine kräftige Prise Selbstironie muss derjenige dann schon bereit sein zu zeigen.

Manche Texte haben auch eine Doppelbedeutung, Qene or Semmnaworq genannt (wortgetreu: Wachs und Gold). Wachs steht dabei für den wortwörtlichen Aspekt des Textes und das Gold für die versteckte Botschaft. Das Publikum ist aufgefordert das Wachs zum Schmelzen zu bringen und den goldenen Kern der Texte zu erkennen.

Kritik an sozialen Missständen

Azmaris haben mit dieser Methode jahrhundertelang Kritik an sozialen Missständen ausüben können. So sang Tlahoun, ein Bandmitglied der königlichen Leibgarde in den 1950ern, offiziell Liebeslieder, in denen jedoch in Wahrheit der Kaiser kritisiert wurde. Ein Satz, wie „Sie hat mich verlassen und ich halte es nicht mehr aus", bezog sich dabei nur oberflächliche gesehen auf das Ende einer Liebesbeziehung, denn eigentlich steckt die Sehnsucht nach dem Ende des Regimes dahinter.

Auch heute noch kritisieren Azmaris mit dieser Methode die politischen Machthaber. Außerdem machen sie auf gesellschaftsrelevante Themen wie HIV/Aids aufmerksam. So ruft schon so mancher Azmari seine Zuhörer dazu auf Maßnahmen zur Prävention von HIV zu ergreifen.

Seit wann es die Azmaris gibt, ist nicht festzustellen. Die Musik der Azmaris wurde sowohl durch traditionelle Volksmusik als auch kirchlicher Elemente beeinflusst. Obwohl die äthiopisch-orthodoxe Kirche seit dem 4. Jh. unglaublich mächtig ist (heute gehören rund 50% der Bevölkerung dieser Kirche an), ist die Musik der Azmari säkular. Dies erlaubt ihnen auch Missstände in der Kirche zu thematisieren.

Die Kunst, die einzigartigen Melodien mit humoristisch-kritischen Texten zu kombinieren, kann man nicht einfach erlernen. Azmaris verfügen über eine außergewöhnliche Gabe, die von Generation zu Generation weitergegeben wird.

Neben Unterhaltung und Kritik hatten Azmaris noch andere Funktionen. Jahrhundertelang wanderten Azmaris von Dorf zu Dorf und überbrachten Nachrichten und Neuigkeiten. Durch die Erfindung von Radio und Fernsehen, fiel diese Funktion zum größten Teil weg. Der zunehmende Einfluss „westlicher" Musik hat auch vor Äthiopien nicht halt gemacht. Die Verdrängung der traditionellen Azmari-Musik wurde deshalb schon oft zu prophezeit. Das ist jedoch nicht eingetreten, sondern ganz im Gegenteil: In den letzten Jahren ist die Azmari-Szene gewachsen.

Durch die Einführung von eigenen Azmaris-Clubs, kam es zu einer Professionalisierung dieser Kunst. Wissenschaftlerinnen, wie die äthiopische Publizistin Wossen Argan Tegegn, unterscheiden deshalb zwischen modernen und traditionellen Azmaris. Traditionelle Azmaris treten meistens alleine und vermehrt bei Feierlichkeiten wie Hochzeiten und Taufen auf. Sie stehen dabei nicht wie die modernen Azmaris auf Bühnen sondern begeben sich mitten ins Geschehen. Wenn den Gästen die Darbietung des Azmari gefällt, wird er auf etwas zu Essen eingeladen oder bekommt einen Geldschein in die Hand gedrückt. Die modernen Azmaris hingegen werden oft auf Honorarbasis von Clubbesitzern bezahlt. In den letzten Jahren gab es auch vermehrt Arrangement mit Reiseveranstalter, da Auftritte von Azmaris zu einer beliebten Touristenattraktion geworden sind.

Dieser Artikel ist Teil des Projekts „Atelier Afrika". Dabei erstellen Studierende des Instituts für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft der Uni Wien gemeinsam mit Studierenden in Afrika Texte.

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